Werner Wintersteiner – Rede zur Pflanzung des Kaki-Baums in Villach am 20. Juni 2023

Heute pflanzen wir einen ganz kleinen Baum. Man könnte sagen: Na und, was ist das schon? Und seht nur, wie zart und verletzlich er aussieht. Wird er das raue Villacher Klima überstehen?

Doch es ist ein ganz besonderer Baum. Er hat eine außergewöhnliche Geschichte. Er stammt von einem „Ahnen“ ab, der schon sehr viel überstanden hat. Als die USA am 9. August 1945 im Krieg gegen Japan mit der Operation Centerboard die zweite Atombombe abwarfen, war das Ziel die Stadt Nagasaki. Die Bombe verfehlte die Rüstungsbetriebe, zerstörte aber die halbe Stadt. Die Schätzungen reichen von 40.000 bis 80.000 Todesopfern. Natürlich wurde auch die Natur schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ein Kaki-Baum im Zentrum wurde zum Beispiel so schwer getroffen, dass er als verloren galt. Doch wie durch ein Wunder überlebte er die Katastrophe und konnte, dank der Bemühungen eines Gärtners und eines Künstlers, wieder zum Blühen und Früchtetragen gebracht werden. Seither werden die neuen Triebe, die aus dem alten Baum gezogen werden, in der ganzen Welt verteilt. So ist eine weltweite Gemeinde der „Kaki aus Nagasaki“ Städte entstanden.

Denn das Überleben des Kaki-Baums wurde zu einem vielfältigen Symbol. Zum Symbol der Kraft der Natur gegenüber der menschlichen Zerstörungswut. Zum Symbol des Friedens und der Überwindung des Krieges. Der Kaki Baum konnte gerettet werden, weil der Weltkrieg zuende war und wieder Kräfte für Aufbau-Arbeit frei waren. So erinnert uns der Kaki Baum daran, dass wir im Einklang mit der Natur leben müssen, wenn wir – als Menschheit – selbst überleben wollen. Es ist ein Kreislauf: Wir brauchen den Frieden mit der Natur, um Frieden unter uns Menschen zu schließen. Wir brauchen Frieden unter uns Menschen, damit wir wieder in Frieden mit der Natur leben können. Angesichts der Klimakatastrophe, angesichts des Aussterbens so vieler Tier- und Pflanzenarten ist das die wichtigste noch heute gültige Mahnung.

Denn dieser Frieden heute wieder aufs äußerste gefährdet. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine herrscht auch in Europa wieder Krieg, wie auch in vielen anderen Ecken und Enden unseres Planeten. Und dieser Krieg, der nun schon über ein Jahr andauert und dessen Ende nicht in Sicht ist, birgt die ständige Gefahr einer Eskalation, bis hin zum Einsatz von Atomwaffen, bis hin zu einem Weltkrieg.

In seinem Jahrbuch 2023, das vor wenigen Tagen erschienen ist, zeigt das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI, dass sich der weltweite Gesamtbestand an Atomwaffen im vorigen Jahr deutlich erhöht hat. Es sind 86 neue Sprengköpfe hinzugekommen, jeder mit unglaublich größerer Sprengkraft als die Bombe von Nagasaki. Ein großer Teil dieser Waffen wird in hoher Alarmbereitschaft gehalten, d. h. sie sind in Raketen eingebaut oder befinden sich auf Flugplätzen, auf denen Atombomber stationiert sind. Das gilt vor allem für Russland und die USA, die zusammen über fast 90 Prozent aller Atomwaffen verfügen. Doch auch China hat mit einer erheblichen Ausweitung seines Atomwaffenarsenals begonnen. Haben wir denn nichts aus dem Desaster von Hiroshima und Nagasaki gelernt?

Und ebenso gefährlich ist der Verfall der Diplomatie. Die meisten Atomwaffenbesitzer reden inzwischen wieder über die Bedeutung dieser Waffen, und Russland hat sogar mit deren Einsatz gedroht. Im Februar 2023 hat Russland angekündigt, seine Teilnahme am New START Vertrag auszusetzen – dem letzten verbleibenden Vertrag über nukleare Rüstungskontrolle, der die strategischen Atomstreit-kräfte Russlands und der USA begrenzt. „Wir bewegen uns auf eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte zu“, sagt SIPRI Direktor Dan Smith.

Doch es gibt Alternativen. Die Regierungen der Welt können, und sie müssen auch unbedingt Wege der Zusammenarbeit finden, um geopolitische Spannungen abzubauen, das Wettrüsten zu verlangsamen und die sich verschlimmernden Folgen von Umweltzerstörung und Welthunger zu bewältigen.

Erfolge sind möglich. Das zeigt zum Beispiel der Atomwaffen-Verbotsvertrag. Das ist eine internationale Vereinbarung, die die Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen, ebenso wie die Drohung damit, verbietet. Dieser Vertrag, im Rahmen der UNO ausgearbeitet, ist vor zwei Jahren in Kraft getreten. Er übt einen starken moralischen Druck auf die Atomwaffenstaaten und jene Staaten aus, die sich bislang weigern, den Vertrag zu unterzeichnen. Er sagt ganz deutlich: Nie wieder Hiroshima und Nagasaki!

Österreich war eine federführende Nation bei der Ausarbeitung des Vertrags. Ein kleiner Staat, der seine Neutralität als Instrument des Friedens sieht, kann vielleicht keine Wunder wirken. Doch er kann Friedensbemühungen in aller Welt unterstützen und helfen, die Menschen zu überzeugen, dass Gewaltfreiheit nicht nur der humanere, sondern auch der erfolgreichere Weg ist, Konflikte zu lösen.

Wir sind nicht ohnmächtig, solange wir nicht an unsere Ohnmacht glauben. Auch in der eigenen Umgebung, im lokalen Bereich, lässt sich viel bewirken, lässt sich einiges für den Frieden tun. Darum hat sich zum Beispiel in der Stadt Linz eine kommunale Friedensinitiative gebildet. Dort arbeiten Beamtinnen und Beamte der Stadtverwaltung mit anderen Bürger*innen zusammen. Sie machen Veranstaltungen, diskutieren Möglichkeiten, den Frieden innerhalb ihrer Gemeinde zu fördern und verfassen jedes Jahr eine Friedenserklärung, die sie mit allen Parteien im Gemeinderat diskutieren. Vielleicht wäre etwas Ähnliches ja auch in Villach denkbar – zumal wir durch die Existenz des Jugendrats auch noch zusätzliche Möglichkeiten haben.

Jetzt aber geht es darum, diesen Kaki-Baum zu pflanzen, sein Aufwachsen zu überwachen und dazu eine Gemeinschaft zu bilden, um in einigen Jahren gemeinsam seine Früchte zu ernten. So vieles lässt sich dabei lernen. Über die Natur und über die Eigentümlichkeiten des Kaki-Baums, der sozusagen ein Migrant ist; über die Hintergründe der Atombombenabwürfe, über die Ursachen für die Atomrüstung, über die Atomgefahr heute. Aber genauso über die Bemühungen um Abrüstung und über die weltweiten Friedensbewegungen, die ja auch eine Art Fridays for Future Bewegung sind.

Der junge Kaki Baum, den wir heute in Villach in die Erde setzen, kündet vom Wert des Kleinen, das groß werden kann. Wenn man darauf vertraut und das Nötige tut.

Wenn wir diesen Baum pflanzen, setzen wir ein Zeichen des Widerstands. Des Widerstands gegen die Welt, wie sie heute ist.

Wenn wir diesen Baum pflanzen, setzen wir zugleich ein Zeichen der Hoffnung. Der Hoffnung auf eine Welt, wie sie sein sollte, damit wir alle in unserem „Heimatland Erde“ gut leben können.

Wir alle, die wir heute hier versammelt sind, und viele, die wir noch für die Sache des Kaki-Baums gewinnen werden, nehmen diese Arbeit für den Frieden auf uns; weil das das Wichtigste ist, was wir tun können, und weil das unserem Leben Sinn verleiht. Daher möchte ich mich ganz herzlich bei euch allen bedanken, die ihr daran mitwirkt, dass das Kaki-Projekt ein Erfolg wird. Denn heute machen wir erst den Anfang. Nun gilt es, den Baum zu hegen und zu pflegen, damit er wächst und gedeiht. So wie es gilt, den Frieden zu hegen und pflegen, damit er gestärkt wird und die Kriege beendet werden.

Manchmal ist es eben doch eine ganz große Sache, einen kleinen Baum zu pflanzen.

Univ.-Prof. i.R. Dr. Werner Wintersteiner, Gründer und ehemaliger Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt, ist Mitarbeiter des Vereins „Erinnern“ Villach.