Guten Tag, Dober Dan, Latscho diwes, An gwanten Schein zur heurigen Gedenkfeier!
Sehr geehrte Familien, die hier ihrer ermordeten Angehörigen gedenken,
Liebes Gedenk-Publikum,
Werte Amts- und Würdenträger*innen.
Das Engagement für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, die man in Österreich nach dem Krieg am liebsten vergessen wollte, ist leider nicht selbstverständlich.
Manche wollen das ja auch bis heute. Vergessen, was war, damit es dann wieder sein kann.
Zum Glück gibt es aber auch Menschen, wie das Team vom Verein Erinnern, nomen est omen. Euch und allen voran dem unermüdlichen Hans Haider, ohne den es kein Denkmal der Namen in Villach geben würde, einen großen, großen Dank für die wichtige Erinnerungs-Arbeit.
Seit der Befreiung vom totalitären Nazi-Regime und dem Ende des 2. Weltkrieges sind 78 Jahre verlangen, ein ganzes Menschenleben voller Geschichte und Geschichten, aus denen man hätte lernen können.
Heute stehe ich vor Ihnen, als Frau, als Schriftstellerin und als Jenische, um die heurige Gedenkrede zu halten.
Ich bin 1972 in Villach geboren. Und die Prämisse meiner Kindheit und Jugend war. Man gibt seine Zugehörigkeit und die eigene Sprache nicht preis. Damit man unbehelligt leben kann. Hier, in Kärnten, in Villach und Villach-Land, wo man die Jenischen eigentlich nur unter dem Synonym des Umsturzes kennt – um das unschöne Kärntner Dialekt-Schimpfwort nicht in den Mund nehmen zu müssen.
Bezeichnet wurden wir ebenso mit dem Wort, das mit Z beginnt, Sie kennen es alle, ich spreche dieses Wort nicht aus, auch wenn es ein paar Mal in meiner Rede noch vorkommen wird, verwende ich immer den Ausdruck Z-Wort. Denn Sie wissen ja, Sprache schafft Wirklichkeit.
Jenische sind eine transnationale Minderheit in Europa, die oft und gern mit Sinti oder Roma verwechselt werden. Was keiner der Gruppen besonders gefällt. Aber die hat man ja eigentlich nie um ihre Meinung gefragt.
Die Kultur der Jenischen ist, wie die der Sinti und Roma, eine Kultur der mündlichen Überlieferung. Das heißt, das historische und praktische Wissen, die Sprache, aber auch die Musik werden nicht aufgeschrieben, aber im Gedächtnis verwahrt, um sie dann an die Nachkommen weiterzugeben.
Diese Kulturtechnik hat bis heute keinen großen Stellenwert in der – ja, sagen wir, westlichen Gesellschaft. Aber das mündliche Überliefern ist erstens älter als die Schriftkultur, und zweitens funktioniert diese Kulturtechnik wirklich wunderbar – allerdings nur, solange die Kulturträger nicht ausgerottet werden.
Die Lage dieser Minderheiten – nach 1945 – habe ich in einem Roman einmal so beschrieben: Eine tote Bibliothek, in der das ausgelöschte Leben und das ausgelöschte Wissen Rücken an Rücken stehen und die Leerstellen bilden für das nie in Büchern Festgehaltene. (Schönett, Andere Akkorde, Roman, 2018, S.49)
Die Kärntner Sinti und Roma und Jenischen sind im kollektiven Gedächtnis unseres Landes bis heute eine historische Erinnerungslücke.
Diese Opfer des Nationalsozialismus, deren Deportation und Auslöschung hat hierzulande sehr lange einfach keinen interessiert. Die Nachbarn nicht und die Mitbürger*innen nicht und die Politik sowieso nicht.
Sogar den Historiker*innen war es lange egal, was mit denen passiert ist.
Inzwischen gibt es ein paar kleinere Arbeiten, aber noch immer zu wenige, um dieses dunkle Kapitel zu beleuchten.
Gehen wir in der Geschichte, weil sie sich ja wiederholt, zurück.
In die 1930er Jahre. Nach Villach. In die äußeren Stadtgebiete wie die Auen, die Untere und Obere Fellach, St. Martin und Seebach. Dorthin, wo, neben Arbeiterfamilien, auch Sinti und Jenische Familien leben.
Diese sind, als Marktfahrer, Hausierer oder Musiker zum Beispiel, von Berufs wegen aufs Unterwegssein angewiesen.
„Die Villacher Sinti“, heißt es in den Erinnerungen der Überlebenden Sintizza Rosa Winter aus Oberösterreich, „die Villacher Sinti waren die allerbesten Musiker. Bis nach England sind die gekommen.“
Traditionell sind diese Menschen also beruflich viel unterwegs gewesen. Aber eben auch, seit vielen Generation, hier in Villach, Villach Land ansässig.
Das mobile, selbstständige Arbeiten schien den Obrigkeiten aber stets suspekt; die grausame Verfolgungsgeschichte dieser Minderheiten ist dementsprechend lang; auch in der K&K-Monarchie – und natürlich in der 1. Republik, da wurde die Erfassung sehr gründlich betrieben, diese Registrierungen der 1920er Jahre waren sozusagen die Vorarbeit für die spätere Vernichtung.
In der sogenannten Z-Kartothek waren 1928 bereits ca. 8000 Menschen erfasst. 1936 wurde in Wien die „Zentralstelle zur Bekämpfung des Z-Unwesens gegründet; das war im österreichischen Ständestaat, im gerne vergessenen Austrofaschismus. Ja, und auf all diese Daten konnten dann später die Nationalsozialisten bequem zurückgreifen.
Mit dem sogenannten Anschluss an Hitlerdeutschland wird alles anders. Hausieren und Betteln ist verboten – das steht übrigens heute noch, oder heute wieder, am Eingang des Villacher Parkcafés. In einer scheinbar auch bettlerfrei gemachten Stadt hinterlässt mir das ein bitteres Gefühl.
Gehen wir zurück. In die Vergangenheit.
Seit März 1938 werden Angehörige nicht nur dieser Minderheiten also ihrer persönlichen Freiheit, und, mit dem Verbot der traditionellen Fahrberufe, auch ihrer Verdienstmöglichkeiten beraubt.
Jetzt ist es für die Sinti, Roma, Jenischen also vorbei mit dem mobilen Arbeiten und dem Geldverdienen.
Und drei Monate später, zwischen dem13. und dem 18. Juni 1938 wütet dann die „Aktion Arbeitsscheu Reich“.
Was ist das?
Mehr als 10.000 sogenannte asoziale Männer – vorwiegend Sinti, Roma, Jenische – werden verhaftet und verschleppt, um die Konzentrationslager, hierzulande Mauthausen, erst einmal aufzubauen.
Das Verhaften dieser Männer aus den Minderheiten läuft nicht sehr geheim ab, es ist für die Nachbarn durchaus sichtbar. Aber weil es ja die Kriminalpolizei ist, die für diese und folgende „Aktionen“ ausrückt, wird das wohl seine Richtigkeit haben, oder? Die müssen doch etwas verbrochen haben, sonst würde doch nicht die Kriminalpolizei kommen. Tja.
Hier in Villach werden ab 1938, bei verschiedensten „Aktionen“, an die 100 Personen verhaftet, verschleppt und deportiert.
Zuständig ist immer ein Kriminaler namens Karl Malle.
Am 1. September 1939 beginnt mit dem Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen bekanntlich der 2. Weltkrieg.
Am 17.Oktober 1939 tritt dann der sogenannte „Festschreibungserlass“ in Kraft.
Erlassen hat den Erlass der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Damit ist es den sogenannten „Z. und Z.-Mischlingen“ bis auf weiteres untersagt, den augenblicklichen Aufenthaltsort zu verlassen.
Mit dem „Festschreibungserlass“ wird man nicht nur festgesetzt, sondern auch der Fürsorge jener Gemeinde zugewiesen, in der man sich zufällig gerade befunden hat. Das heißt konkret, wenn du – aus welchen Gründen auch immer – am 17. Oktober in Wien bist, dann ist es dir ab sofort verboten, wieder heimzukehren. Du wirst gezwungen, in Wien zu bleiben. Und die Behörden sind für deine Unterbringung und Verpflegung zuständig.
Diese herbeigeführte Situation ließe sich ganz einfach auflösen. Du könntest gehen. Die Gemeinde wäre die Last der Fürsorge los. Aber: Gesetz ist Gesetz. Und Erlass ist Erlass. Darum muss für dieses geschaffene Problem eine andere Lösung her. Und weil alle Gemeinden im Deutschen Reich die Festsitzenden loswerden wollen, sieht die Lösung dann so aus: Dich und Deinesgleichen sperrt man in eigene Sammellager.
Und wer ist für die Durchführung zuständig? Genau, die Kriminalpolizei.
In Kärnten unter dem schon erwähnten Karl Malle.
Anna Blach ist eines der Opfer, derer hier am Denkmal der Namen gedacht wird.
Sie ist auch durch Karl Malles Hände in die Vernichtung gegangen.
Was kann ich Ihnen über diese Frau sagen?
1915 kommt sie in St. Gallen in der Schweiz zur Welt, als eheliche Tochter des Johann Blach, der ist von Beruf Hausierer. Anna Blach entbindet am 29. November 1932 in Kärnten, in Greifenburg, ein Kind: Josefine Blach. Den Namen des Vaters gibt die junge Mutter- sie ist 17 – nicht bekannt. Ich beziehe mich auf die Quelle vom Verein Aeginde zu Josefine Blach. Dort geht man davon aus, dass Anna Blach „aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Villacher Sinti gehörte“, ich denke, sie wird eher eine Jenische gewesen sein, die vielleicht einen Villacher Sinto liebte, der vielleicht der Vater von Josefine war.
Wir wissen es aber nicht. Wir werden es auch nie wissen. Weil keiner mehr da ist, den man fragen könnte.
Was wir wissen:
Im Oktober 1940 tritt die Anordnung zur „Bekämpfung der Z.-Plage in der Ostmark“ in Kraft.
Die Kriminalpolizei verhaftet sowohl die Anna Blach als auch ihre Tochter bei einer der „Aktionen“ in Villach.
Unklar ist bei welcher, unklar ist auch, ob Mutter und Tochter am selben Tag oder Ort festgenommen worden sind.
Die sechs oder siebenjährige Josefine kommt, das ist belegt, in ein Arbeitslager im Salzburger Stadtteil Maxglan. Und dort wird Anna Blachs Tochter 1940 für Leni Riefenstahls Film >>Tiefland << ausgewählt.
Weil an echte Spanier – es ist Krieg – gerade nicht heranzukommen ist, müssen das halt 60 Roma und Sinti, Lagerhäftlinge, übernehmen. Irgendwie logisch, oder?
Josefine Blach muss also in diesem Nazi-Machwerk eine kleine Spanierin spielen. Und nach den Dreharbeiten geht es für sie – wie für alle anderen Spanier-Darsteller*innen – sofort wieder ins Lager; die kleine Josefine wird zurück ins Z.-Lager Maxglan überstellt.
Als im Oktober 1941 die Entscheidung zur Deportation der Z. fällt, werden alle „Sammellager“ und „Anhaltelager“, die schon längst Arbeits- und Sterbelager sind, aufgelöst und die Häftlinge deportiert.
Anna Blachs Tochter Josefine wird ins KZ Auschwitz deportiert und dort, am 29. Dezember 1943, ermordet; da war das Mädchen elf Jahre alt.
Ihr Mutter, Anna Blach, ist eine von über 5000 Z-Häftlingen, die im Winter 1941 ins Ghetto Lodz gebracht werden. Mit 20.000 Jüdinnen und Juden. Ins bereits übervolle Ghetto. Die Z.-Häftlinge, darunter Anna, werden abgesondert. Die Zustände sind verheerend. Unterernährung, Fleckfieber, nach zwei Monaten sind schon 613 Menschen tot.
Vielleicht hat Anna Blach das Z.-Lager im Ghetto Lodz überlebt. Aber – ich zitiere:
„Unterdessen hatte das Reichssicherheitshauptamt im Schloss der Stadt Chelmno (Kulmhof) ein Lager errichtet, nicht etwa um Juden oder „Z.“ zur Arbeit zu zwingen oder gefangen zu halten, sondern um sie geradewegs und möglichst umstandslos zu vernichten.
Zu diesem Zweck wurden drei Lastwagen zu Gaswagen präpariert und in das Lager gebracht. Die Tötungsexperimente begannen am 7. Dezember 1941. Die ersten Opfer waren Juden aus den Gemeinden der Umgebung. Die Täter zwängten sie in die Lastwagen, verschlossen und verriegelten die Türen und stellten den Motor an. Innerhalb weniger Minuten erstickten die Opfer im Gas.
So wurden – als Auftakt zur millionenfachen fabrikmäßigen Vernichtung von Menschen – auch all jene Sinti und Roma aus Österreich ermordet, die die Seuchen in Lodz überlebt hatten. Die Leichen wurden in einem Wald verscharrt und später in Öfen verbrannt.
Niemand der 5007 von Lackenbach nach Lodz deportierten Sinti und Roma überlebte, niemand von ihnen konnte über diese vollendete Katastrophe aus Menschenhand, in der Sprache der Roma und Sinti „Porajmos“ (das Verschlingen) genannt, Zeugnis ablegen.
Faktum zum Tod der Einzelnen ist einzig, dass sie nie mehr aufgetaucht sind.“ (Verein Aeginde, Josefine Blach, online)
Diese Opfergruppe ist in der Erinnerungsarbeit unserer Republik sehr lange – oder sollte ich sagen bis heute? – einfach ausgeblendet worden. All die sogenannten „Z-Mischlinge, Roma-Z und Angehörige von Z-Sippen balkanischer Herkunft“, die auf Befehl des SS-Führers Heinrich Himmler ab Dezember 1942 in Konzentrationslager deportiert und dort vernichtet wurden.
Mehr als 500.000 Menschen, davon 25.000 aus Österreich, davon etwa hundert aus Kärnten – unter ihnen bekannte Musiker Familien, wie zum Beispiel die Seger aus Villach – hier am Denkmal sichtbar mit 12 Familienmitgliedern, die Familie Held, die Familie Taubmann, aber auch die Anna Blach, allerdings ohne ihre Tochter Josefine, deren Name fehlt hier am Denkmal.
Die einzige Erinnerung an sie ist ihr Auftritt im Riefenstahl-Film „Tiefland“, wo man sie bis heute anschauen kann, als kleine Spanierin. Zusammen mit der kleinen Rosa Herzenberger, aus Seebach bei Villach, von der kein Sterbedatum, nur der Ort, Auschwitz, bekannt ist.
Von den 60 Kleindarstellerinnen des Films sind alle nach den Dreharbeiten wieder in ihre Z.-Lager gekommen. Später wurden sie in KZs deportiert und fast vollzählig ermordet.
Aber bis 2002 durfte die Riefenstahl ungestört behaupten, sie habe sämtliche Z., die in Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende munter und gesund wiedergesehen.
Erst nach der Klage des Kölner Vereins Rom hat die Regisseurin diese Behauptung unterlassen müssen; öffentlich zumindest.
Aber: der lockere Umgang von Leni Riefenstahl mit der sogenannten Wahrheit war eher normal, nicht die große Ausnahme.
Schon vor dem Krieg, und währenddessen, und auch nach dem Krieg, haben dieDeportationen und die Vernichtung der einst fahrenden Minderheiten keinen in Kärnten interessiert.
Doch, einen einzigen. Den gebürtigen Dellacher und Mauthausen-Überlebenden Josef Nischelwitzer, er war auch KPÖ-Funktionär.
Und er hat schon kurz nach der Befreiung begonnen, die Verfolgung, Deportation und Ermordung der Kärntner Sinti, Roma und Jenischen auf Grundlage von Zeugenaussagen zu dokumentieren.
Aufgrund der mündlichen Quellen der Überlebenden war bald klar, der besagte Kriminalinspektor Karl Malle war verantwortlich für deren Deportation. Er sollte natürlich vor Gericht kommen.
Aber die Anzeige von Josef Nischelwitzer, und damit auch all die Zeugenaussagen der von Karl Malle verhafteten, gesammelten, verschleppten, deportierten Menschen waren einfach nichts wert.
Die Anzeige wurde – irgendwie – unterschlagen.
Vor Gericht ist dieser Karl Malle nie gekommen.
Dafür wurde er – in vollen Ehren – 1950 zum Leiter der Kriminalpolizei Klagenfurt ernannt.
Übrigens: Bis 1993 hatten die meisten Porajmos-Überlebenden keinen Anspruch auf Opferrenten. Weil, und das ist das Perfide, die meisten von der Kriminalpolizei -verhaftet worden sind – und somit als „Asoziale“ gelistet waren; Asoziale galten aber nicht als Verfolgte des NS-Regimes. Erst ab 1993 – die Roma hatten sich mühsam die Anerkennung als Volksgruppe erkämpft – erst ab da hatten auch sie Anspruch auf Opferrenten.
Bis es zu deren Auszahlungen kam, das haben aber viele dann gar nicht mehr erlebt.
Dass man vorverurteilt wird – kriminell, asozial, dass man nicht nur als Mensch zweiter Klasse, sondern auch als Opfer zweiter Klasse behandelt wird. Dass das so normal erscheint, so normal, dass es gar nicht weiter auffällt, das zeigt, welchen Stellenwert die Menschen aus den mündlichen Kulturen in der österreichischen Gesellschaft haben.
Der erwähnte Umgang mit diesen NS-Opfern ist nur ein bezeichnendes Beispiel für den Umgang der Mehrheit mit diesen Minderheiten. Bis heute.
Heute, am 16. Mai, ist übrigens der internationale Rom*nja Widerstandstag. In Erinnerung an die mutigen 6000 Rom*nja und Sinti*zze, die 1944 im KZ Auschwitz bewaffneten Widerstand gegen ihre Ermordung geleistet haben, und so tausende Leben retten konnten.
Dieser Widerstand gehört aber auch nicht unbedingt zum Allgemeinwissen, oder?
Und wieso?
Weil der Anti-Romaismus leider, sozusagen zu allen Zeiten, salonfähig ist. Und das Schlimmste dabei – es erscheint so normal, weil ja jede und jeder zu wissen glaubt, wie die denn so sind, diese Z.
Und weil wir heute hier stehen, und uns an diese Opfergruppen im Besonderen erinnern, heißt das noch lange nicht, dass wir automatisch immun gegen Roma-Feindlichkeit sind.
Zum Beispiel, wen stört es, dass man keine Bettler*innen mehr in Villach trifft? Oder wen kümmerts, dass es eine Gruppe von Ukraine-Flüchtenden gibt, die bis heute in provisorischen Zeltlagern irgendwo an den Grenzen angehalten werden, die kein Land in Europa aufnehmen will, weil sie Roma sind.
Wir gedenken heute der Opfer des Nazi-Terror-Regimes. Dabei sollten wir aber weder auf die Gegenwart, noch auf die Überlebenden vergessen.
Sie mussten und müssen weiter mit dem Horror des Erlebten leben, mit all den Toten zurechtkommen und mit der irrationalen „Schuld“ des Überlebt-Habens.
Mit diesem Trauma haben es Angehörige aller Opfergruppen zu tun. Und zwar nicht nur die Überlebenden selbst, sondern auch deren Kinder und Kindeskinder. Ob sie das nun wollen oder nicht.
Als Frau, Schriftstellerin und Jenische ist mir an jedem Tag meines Lebens bewusst: die ach so menschliche Zivilisation und der gute alte Frieden sind recht fragile, brüchige Errungenschaften – und nichts, worauf man sich verlassen kann.
Ich will, nein ich muss Ihnen ins Gedächtnis rufen, wie schnell sich Menschen gegeneinander aufbringen lassen. Wie schnell das geht, dass gesellschaftliche Normen zugunsten der rohen Gewalt weichen.
Karl Schwarzenberg, der Aristo-Politiker, hat es in einem Standard-Interview, auf den Punkt gebracht – und ausnahmsweise muss ich einem alten, weißen Mann sogar zustimmen. Er sagte: „Die Menschen bleiben die gleichen, bösartigen, fleischfressenden Affen, die sie immer waren, und deswegen schlagen sie sich gerne tot.“ (In: Der Standard. Interview, 10.1.2023)
Nun, verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich ist Erinnerungsarbeit wichtig, und Gedenkveranstaltungen sind es auch.
Aber das Wiedererstehen von autoritären und totalitären Regimen verhindern wir so sicher nicht.
Dieser Entwicklung schauen wir im Grunde gerade in Echtzeit zu.
Und sieht irgendjemand da auch nur ein demokratisches System, das sich nicht gerade von Nationalisten und Rassisten unterhöhlen lässt?
Wie verhindert man die Autoritären und Totalitären?
Durch eine gefestigte Demokratie, die Menschen- Minderheiten- und Bürgerrechte schützt, würde ich sagen, oder?
Aber was, wenn in solchen Demokratien Verfassungsbrüche gar nicht mehr als solche gelten, wenn die Wahrheit zur Lüge und die Lüge zur Wahrheit wird – auch das erleben wir ja in Echtzeit schon seit längerem wieder.
Ein vor kurzem noch undenkbarer Bundekanzler Kickl steht heute, ganz real, quasi unaufhaltbar schon, vor der Tür.
Und dann wird mit Sicherheit in den Pausen nur mehr Deitsch geredet und – ja.
Wie verhindert man das Wiederaufstehen der alten Gespenster in neuen Gewändern?
Mit bloßen Argumenten kommt man derzeit jedenfalls keinen Schritt weiter. Nun, am Ende meiner Rede, will Ihnen aber noch einen, eindringlichen Gedanken mitgeben.
Am Anfang sind es immer nur Minderheiten oder Randgruppen, die von solchen Zwangs-Maßnahmen wie einem („kleinen“) Sprachverbot betroffen sind.
Es fängt immer im Kleinen an.
Aber am Ende bekommen die gewaltigen Ausmaße dann alle zu spüren.
Immer. Das ist gewiss.
Eben, weil sie sich nicht dagegengestellt haben, solange nur die Minderheiten, und nicht sie selbst betroffen waren.
Aber dann ist es in der Regel leider schon – zu spät.