Valentin Seger – Erinnerungen an die Deportation seiner Familie

Im Jahre 1941 war ich sieben Jahre alt und hätte längst in die Schule gehen sollen. Aber als „Zigeunermischling“ durfte ich damals nicht in die Schule gehen. 

In der Früh sind sie mit den Lastwägen gekommen und haben uns aufgeladen. Wir sind zur Polizei hineingebracht worden. Dort blieben wir ungefähr zwei bis drei Wochen. Meinen Vater haben sie nicht erwischt. Der ist vorher verschwunden. Der hat etwas gerochen. Aber ein paar Tage später haben sie ihn doch gefasst und auch zur Polizei gebracht. So waren wir wieder alle beisammen. Meine Mutter war eine „Arierin“ und der Malle von der Kriminalpolizei sagte ihr, dass sie nicht mit müsse und gehen könne, aber ich als „Zigeunermischling“ käme weg von hier. Mama wollte mich aber nicht zurücklassen und blieb.  In Villach haben sie uns dann einwaggoniert und nach Lackenbach überstellt. Nach ungefähr drei Monaten ist mein Vater von dort geflüchtet. Das war leicht, denn viele „Zigeuner“ sind außerhalb des Lagers zur Arbeit eingeteilt worden. Es kam öfters vor, dass jemand flüchtete. Ein paar Wochen später ist auch meine Mutter geflüchtet. Ich war jetzt allein im Lager. Nach ein paar Monaten hat es geheißen: „Alle Seger werden nach Auschwitz überstellt.“  Als wir in Auschwitz ankamen und die „Straße“ hinuntergingen hat plötzlich eine Frau, die auf der Seite stand, gerufen:“Folte, Folte.“ Es war meine Mutter. So kamen wir wieder zusammen. Ich kam in ihre Baracke. Sie war schon seit ein paar Monaten in Auschwitz. Heute weiß ich, dass meine Mutter nach der Flucht zurück nach Kärnten gegangen ist, nach Seeboden zu ihren Vater.  Von dort aus bemühte sie sich mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, mich aus dem Lager zu befreien. Das ist ihr natürlich nicht gelungen. Stattdessen wurde sie wieder verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Meine Mutter war als Gehilfin beim Mengele eingeteilt und musste bei seinen grauslichen medizinischen Versuchen mithelfen. Im Jahre 1943 wurde auch mein Vater in Auschwitz eingeliefert. Mein Vater hat sich nach der Flucht aus dem Lager Lackenbach in Kärnten und in Slowenien bei Bled, wo es Verwandte von ihm gab, versteckt. Das ist ihm einige Monate gelungen, aber schließlich wurde er aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert. Im April 1944 wurde er zusammen mit seinem Cousin Fiorendo, der sich auch in Auschwitz befand, in das KZ Buchenwald überstellt, wo er umgekommen ist. Meine Mutter hat dem Mengele immer wieder gesagt, dass sie „Arierin“ ist. Sie wollte unbedingt zusammen mit mir frei kommen. Eines Tages bekam Mama einen Brief von ihrem Vater aus Seeboden, in dem er der Mama mitteilte, dass ihr Bruder, der bei der SS war, in Russland gefallen ist. Diesen Brief zeigte sie Mengele um zu beweisen, dass ihr eigener Bruder bei der SS ist. Mengele hat daraufhin einiges in die Wege geleitet, damit wir frei kommen. Anfangs hat es auch so ausgeschaut als ob es klappen würde, aber anstatt freizukommen sind wir in das KZ Ravensbrück überstellt worden. Eines Tages, während des Morgenappells, wurde meine Mama zur Lagerleitung bestellt. Sie hatte schon Angst, dass ich irgend etwas angestellt habe. Der Lagerleiter teilte ihr mit, dass sie und ich frei sind, dass wir das Lager verlassen können und nach Hause fahren können. Aber sagte der Lagerleiter, sobald sie draußen sind müssen sie ihren Sohn sterilisieren lassen. Wir sind dann mit dem Zug bis Villach gefahren und von dort mit einem Auto zum Opa nach Lieserbrücke. Angekommen sind wir im Dezember 1944 noch vor Weihnachten. 

Im Jänner 1945 bin ich dann zum ersten Mal in meinen Leben mit elf Jahren, in Lieserhofen, in die Schule gegangen. Eine ungewöhnliche Situation, denn ich war schon sehr groß und meine Mitschüler sehr klein. Es war eine zweiklassige Volksschule. Der Lehrer Josef Bleikner aus Seeboden war mir aber sehr zugetan. Er hat es bewerkstelligt , dass ich einige Klassen überspringen konnte und in drei Jahren die 8-klassige Volkschule abgeschlossen habe. Das war sehr wichtig um eine Lehrplatz zu bekommen. In Spittal habe ich dann beim Konsum Bäcker und Konditor gelernt. Später bin ich dann zur Post arbeiten gegangen. 

Quelle:
Aufzeichnung eines Gespräches von Hans Haider mit Valentin Seger (heute Säger) im Bezirk Spittal an der Drau, April 2007.