Valentin Inzko – Oktober 2010

Das gemeinsame Kärnten. Skupna Koroška

REDE ANLÄSSLICH DES 90. JAHRESTAGES DER KÄRNTNER VOLKSABSTIMMUNG IM GROSSEN WAPPENSAAL DES LANDHAUSES ZU KLAGENFURT, Klagenfurt / Celovec, 8. Oktober 2010

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann,

sehr geehrter Herr Diözesanbischof,

verehrter Herr Superintendent,

liebe Kärntner Landsleute,

moji dragi koroški rojaki!

Wie schon in der Rede meines verstorbenen Vaters, der ersten Rede eines Vertreters der Kärntner Slowenen zum 10. Oktober überhaupt, im Jahr 1995, so wandert auch heute mein Blick hin zur Nordwand dieses prächtigen Wappensaales, an der der bekannteste Kärntner Barockmaler Josef Ferdinand Fromiller im 18. Jahrhundert die altehrwürdigen Zeremonien am Fürstenstein und Herzogstuhl in einer Szene zusammengefasst hat. Bekanntlich wurde der neue Herzog von Edlingbauern als Vertretern der freien Bauernschaft in slowenischer Sprache in sein künftiges Amt eingeführt, woraufhin anschließend beim Herzogstuhl die Huldigung der Landstände und die Vergabe der Lehen in deutscher Sprache stattfanden.

Diese demokratische Zeremonie beim Fürstenstein wurde von vielen prominenten Beobachtern und Historikern ausführlich und detailliert beschrieben. Unter den Bewunderern befanden sich Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., ebenso wie der renommierte französische Staatsrechtslehrer Jean Bodin, der in seinem berühmten Buch „Les six livres de la République“, dem ersten staatstheoretischen Werk in französischer Sprache, bereits 1576 vom einzigartigen Akt der Fürsteneinsetzung berichtete, bei der das einfache Volk dem künftigen Herrscher symbolisch seine Hoheitsgewalt übertrug. Dieses sechsbändige Werk „Über die Republik“ hat nachweislich auch der Vater der amerikanischen Verfassung Thomas Jefferson als Quellenwerk herangezogen, zumal er die Beschreibung dieser demokratischen Kärntner Machtübergabe deutlich unterstrich und als Zeichen seiner Zustimmung mit seinen Initialen T.J. versah. Er und seine Landsleute, die nach Amerika geflohen waren, wollten eben in den jungen Vereinigten Staaten keine königliche Ordnung einführen, sondern eine demokratische. Wir Kärntner können uns mit Fug und Recht dessen rühmen, der amerikanischen Verfassung zumindest symbolisch Pate gestanden zu haben. Es war daher nur logisch, dass Präsident Clinton anlässlich seines Besuches in Ljubljana im Jahr 1999 diese Zeremonie erwähnte, da sie ja in slowenischer Sprache stattgefunden hatte. Natürlich hat der Fürstenstein Kärnten nie verlassen. Wie Sie sehen können, befindet er sich auf Initiative von Landeshauptmann Dr. Jörg Haider seit 2006 im Wappensaal, und wir können hier gemeinsam auf ihn, seine Bedeutung und seine Wirkung stolz sein. Stolz auch deshalb, weil der Fürstenstein als ältestes Rechtsdenkmal Österreichs gilt. Mich wundert und schmerzt es, dass nie auch nur erwogen wurde, den Fürstenstein auf einer österreichischen Euro-Münze zu verewigen.

Das Slowenische wurde bei der Einsetzung der Kärntner Herzöge bis 1414 benutzt und war somit neben dem Deutschen die zweite Amtssprache im Lande. Das einzigartige Zusammenwirken von Slowenischem und Deutschem bei Entstehung und Entwicklung des heutigen Kärnten und besonders prominent bei der Ausbildung der Demokratie in unseren Landen, das gemeinsame Schrifttum im Lauf mehrerer Jahrhunderte – so etwa auch zur Zeit der Reformation, in der das schönste Resultat dieser deutsch-slowenischen Zusammenarbeit die erste slowenische Bibelübersetzung war –, diese Zusammenarbeit war so fruchtbar, dass der bedeutende Geschichtsschreiber Hieronymus Megiser die Kärntner bereits 1612 als „einerley Volk“ bezeichnen konnte. Man sprach auch noch im 18. Jahrhundert von den Kärntnern als einer einheitlichen Nation. Ähnliches hatte wohl auch Josef Friedrich Perkonig, der Propagandist und Chronist von Abwehrkampf und Volksabstimmung, im Sinne, als er eine deutsche Eiche und eine slowenische Linde beschrieb, die dermaßen ineinander verwachsen seien, dass man sie voneinander nicht mehr trennen könne. Viele Jahre später, 1972, setzten sich Hofrat Dr. Valentin Inzko und Dkfm. Dr. Ernst Waldstein im Rahmen der historischen Kärntner Diözesansynode ebenfalls für Eintracht, Vergebung und Versöhnung ein, sowie für ein „Gemeinsames Kärnten – Skupna Koroška“. Dennoch ist es nach dem Zerfall der nicht nur geographisch großen Donaumonarchie zu solchen Versuchen der Trennung gekommen, denn allzu vielen schien das kleine Österreich nicht (über-)lebensfähig. Daher nannte man den Staat im Jahre 1918 programmatisch „Deutsch-Österreich“, um eine künftige Annäherung oder Eingliederung in das Deutsche Reich zu erleichtern. Die Programme und Ziele der damaligen Parteien, Gewerkschaften und anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften waren sich diesbezüglich einig. Kurz gesagt: Etliche wollten dieses Restösterreich nicht und strebten daher eine möglichst baldige Vereinigung mit dem deutschen Volk an.

Zur selben Zeit kam es auch zur Gründung des gemeinsamen Staates der Slowenen, Kroaten und Serben. So manchem Kärntner Slowenen, der in einem „Deutsch-Österreich“ keinen Platz für sich sah, schien eine Vereinigung mit dem slowenischen Volksganzen nahe liegend und erstrebenswert. Im Lichte der Wilson-Doktrin über das Selbstbestimmungsrecht der Völker sahen einige Kärntner Slowenen ihre Zukunft nicht imdeutschsprachigen Raum, sondern dort, wo die Mehrheit des slowenischen Volkes lebte. Ähnliche Überlegungen hatten wohl auch die Südtiroler angestrebt, denen man jedoch das Recht zur Selbstbestimmung vorenthielt. Das war auch die Zeit, als viele Abwehrkämpfer mit lauteren, edlen Motiven und viel Idealismus für ein freies und ungeteiltes Kärnten kämpften, als sie die Südgrenze in Gefahr sahen.

Alle diese Tendenzen waren der Kärntner Politik bekannt, und so kam es am 28. September 1920, zwei Wochen vor der Volksabstimmung, zur nachstehenden historischen Entschließung des Kärntner Landtages: „Die Kärntner Landesversammlung erklärt daher im Bewusstsein der verantwortungsvollen Stunde, namens der von ihr vertretenen Bevölkerung, dass sie den slowenischen Landsleuten ihre sprachliche und nationale Eigenart jetzt und allezeit wahren will und dass sie deren geistigem und wirtschaftlichem Aufblühen dieselbe Fürsorge angedeihen lassen wird, wie den deutschen Bewohnern des Landes“. Da die Bevölkerung in der Abstimmungszone A überwiegend der slowenischen Volksgruppe angehörte, wurde das österreichische Propaganda- und Informationsmaterial in bedeutendem Ausmaß auch in slowenischer Sprache aufgelegt.

Dieses feierliche Versprechen stärkte bei den slowenisch sprechenden Kärntnern das tief verwurzelte und stark entwickelte gemeinsame Landesbewusstsein, unsere jahrhundertealte, felsenfeste regionale Verankerung, hatten wir uns doch immer als „Kärntner“ Slowenen bezeichnet – im Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zum ältesten Herzogtum auf österreichischem Boden, in Erinnerung an die stolze Geschichte Karantaniens, als auch wir Slowenen über einen Staat und eine eigene Oberschicht verfügten, im Gedenken an die erste slowenische Pfarre in Maria Saal und unsere Zugehörigkeit zur „Kärntner Nation“ im Gefühl, „einerley Volk“ zu sein. Gemeinsam mit dem Einfluss der Sozialdemokratie auf die slowenische Arbeiterschaft, die im S.H.S.-Königreich nicht leben wollte, sowie regionalwirtschaftlichen Erwägungen und vielleicht auch noch andere Gründe führten schließlich dazu, dass laut dem – deutschnationalen – Historiker Dr. Martin Wutte 12.000 Stimmberechtigte mit deutscher und 10.000 Stimmberechtigte mit slowenischer Umgangssprache für Österreich stimmten. Ohne die Stimmen der Kärntner Slowenen wäre Südkärnten also nicht mehr bei Österreich.

Mein Großvater Valentin Inzko, ein Absolvent der berühmten kaiserlichen Gendarmerieschule in Triest, wusste als österreichischer Gendarm bereits vor dem Beschluss des Kärntner Landtages, wie die Abstimmung ausgehen werde, als er das Flugblatt, „Kärnten den Kärntnern“ in die Hand bekam. „Da hat es mich innerlich gerissen“, sagte er einmal zu mir. Meine Großmutter Marija Einspieler hingegen konnte sich für ein „Deutsch-Österreich“ nicht erwärmen und sah den Fortbestand und das Überleben der Kärntner Slowenen eher in der Vereinigung aller Slowenischsprechenden zu einem Volksganzen in einem gemeinsamen südslawischen Staat. Nach der Volksabstimmung, als auf die Volksgruppe fürchterlicher Druck ausgeübt wurde, gelang es ihr noch – mit den Pferden und dem Fuhrwerk des Vaters von Dr. Marjan Sturm – die Druckmaschinen der Mohorjeva/Hermagoras aus Klagenfurt ins Mießtal zu verbringen, wo dann Mohorjeva/Hermagoras zunächst in Prevalje/Prävali und später in Celje/Cilli eine neue Heimstatt fand.

Das Leben meiner damals 35-jährigen Großmutter, einer kleinen, zierlichen Frau, die ihr ganzes Leben lang jeden Tag zur Messe ging, wurde nach 1920 zum Martyrium; sie wurde als Lehrerin fristlos entlassen. Dasselbe Los ereilte meinen Großvater, den österreichischen Gendarmen, und zwar nur deshalb, weil er die „großslowenisch-großjugoslawische Agitatorin“ Marija Einspieler geehelicht hatte. So die offizielle Begründung. Erst viele Jahre später, nach dem Zweiten Weltkrieg, erhielten meine Großeltern – nach mehreren Bittgesuchen – eine Gnadenpension. Für ihre Entfernung aus dem Dienst hat sich jedoch bis heute niemand entschuldigt, ebenso wenig wie bei anderen Angehörigen der slowenischen Führungsschicht, die beinahe zur Gänze vertrieben wurden oder wegen mangelnder Perspektiven ins heutige Slowenien auswandern mussten – wie etwa Lehrer, Gendarmen, Buchhalter, Juristen und Priester, darunter der spätere Bischof von Ljubljana, Dr. Gregorij Rožman, geboren in Šmihel nad Pliberkom/St. Michael ob Bleiburg. 28 Priester wurden vom Bischöflichen Ordinariat entlassen, 30 versetzt, ein Pfarrer, der zu einer Letzten Ölung gelockt wurde, wurde angeschossen. Rund 60 slowenische Lehrer wurden aus dem Schuldienst entfernt; Mitte der dreißiger Jahre waren nur mehr vier slowenische Lehrer aus der unmittelbaren Kriegszeit in Österreich tätig.

In der Zeit nach der Volksabstimmung kam es auch zu zahlreichen Übergriffen auf die Volksgruppe, wie z. B. in Šmihel nad Pliberkom/St. Michael ob Bleiburg oder in Sele/Zell, wo Messgewänder entwendet oder Gewaltakte verübt wurden, wie den Pfarrchroniken zu entnehmen ist. Das war auch die Zeit, als Heimatverbände wie der „Deutsche Schulverein Südmark“ starken Druck auf die Volksgruppe ausübten, die assimiliert und germanisiert werden sollte und zwar möglichst binnen einer Generation, wie dies Landesverweser Arthur Lemisch vorgab: „Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum zurückzuführen. Mit deutscher Kultur und Kärntner Gemütlichkeit wollen wir in einem Menschenalter die Arbeit geleistet haben.“ Und weiter: „Ehe wir aber das Werk der Liebe beginnen, lasst uns erst jenes der Vergeltung vollenden. Los und ledig wollen wir sein all derjenigen, die den heiligen Frieden unserer Heimat schändeten“, so Lemisch in der Kärntner Landsmannschaft Nr. 80 am 20. Oktober 1920.

Im damaligen „Kärntner Heimatdienst“ überlegte man das künftige Vorgehen. Hans Steinacher und Vinzenz Schumy sollen konkrete Vorschläge hinsichtlich der Auflösung „jugoslawisch gesinnter“ Gemeindevertretungen, Pfarreien, Ortsschulräte, Gasthausbewirtschaftungen, Volksschuldirektionen usw. vorgebracht haben. Dadurch begann gerade nach der Volksabstimmung, für die das Motto „Kärnten frei und ungeteilt“ gegolten hatte, die Teilung Kärntens in Heimattreue und weniger Heimattreue, in Slowenische und Windische, in echte Kärntner und Verräter, in jugoslawisch und österreichisch Gesinnte. Das war meines Erachtens diametral gegen den Geist des Abwehrkampfes gerichtet, der ja gerade für ein ungeteiltes Kärnten geführt worden war – damit konnten ja nicht nur die Felsen, Wälder und Felder gemeint gewesen sein. Eine weitere Entehrung des Kärntner Abwehrkampfes und der Volksabstimmung erfolgte durch den führenden Abwehrkämpfer Hans Steinacher, der 1943 in seinem bekannten Buch Sieg in deutscher Nacht schrieb, dass man für Österreich nicht habe kämpfen wollen, für Deutschland nicht kämpfen dürfen und daher „Kärnten“ zum Schlachtruf machte. Steinacher im O-Ton: „Es war mir stets eine unumstößliche Selbstverständlichkeit, den Abstimmungskampf nicht um den Anschluß an Österreich, sondern an die großdeutsche Zukunft zu führen.“ Ein ungelöstes Problem der Kärntner Geschichte ist und bleibt das spätere Naheverhältnis vieler Abwehrkämpfer zum Nationalsozialismus. Die Abstimmungsfeiern gerieten allzu oft zu Siegesfeiern, wobei wir Slowenen in die Rolle der Besiegten gedrängt wurden. Die Ettendorfer Gruppe aus dem Lavanttal mit Markus Käfer an der Spitze hingegen hat den Abwehrkämpfern im Zweiten Weltkrieg alle Ehre gemacht. Dieselben Abwehrkämpfer, die sich 1918-20 gegen die südslawischen Eindringlinge gewehrt hatten, stellten sich nun im Zweiten Weltkrieg mit derselben Logik den nazistischen Eindringlingen mit Waffengewalt entgegen. Für ihre Tapferkeit im Kampf gegen den Nationalsozialismus haben die Abwehrkämpfer am 12. Jänner 1945 durch Enthauptung ihr Leben lassen müssen. Damals fanden 7 Personen den Tod. Auch der Sozialdemokrat und Abwehrkämpfer Falle kämpfte mit seinen Genossen gegen den Nazismus in Kärnten. Ein anderer Sozialdemokrat und Abwehrkämpfer, der spätere Landeshauptmann Ferdinand Wedenig, wurde in das KZ Dach deportiert. Ebenso der Abwehrkämpfer Peter Melcher. Weitere Kärntner, die bereit waren, eine Abwehr gegen den Nationalsozialismus zu organisieren und im Kampf gegen Hitler ihr Leben zu riskieren, waren die slowenischen Widerstandskämpfer.

Deren Zahl war bei weitem die höchste, die Forschung spricht von 928 Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern. Der verzweifelte Kampf der Partisanen im zweisprachigen Kärnten war übrigens der einzige erwähnenswerte bewaffnete Widerstand gegen den Nazismus in ganz Österreich. Im Kampf gegen das verbrecherische Naziregime haben 150 slowenische Kärntner Widerstandskämpfer das Wertvollste, das sie hatten – ihr Leben – geopfert. Die überwiegende Anzahl dieser Widerstandskämpfer waren einfache Menschen, Holzfäller, Bauern oder Knechte, die, wenn es nur irgendwie ging, von Priestern im Wald die Heilige Kommunion empfingen, wie etwa jene Gruppe in Sele/Zell, von denen dreizehn Mitglieder am 29. April 1943 durch Enthauptung ihr Leben lassen mussten. Einige von ihnen haben laut einer Eintragung in einem erst kürzlich in Berlin in Übersetzung aufgefundenen Tagebuch bereits von beginnender Freiheit „unseres Vaterlandes“ Österreich gesprochen und sich „darüber sehr gefreut“. Man denke aber auch an jene Wehrmachtsangehörigen, die der slowenischen Volksgruppe angehört haben und die auf Heimaturlaub kamen, nur um festzustellen, dass während ihrer Abwesenheit auf ihren Höfen Kanaltaler oder Südtiroler angesiedelt worden waren. Und schlimmer noch: Häufig mussten sie sogar feststellen, dass ihre Familien in ein Arbeits-, Konzentrations- oder Vernichtungslager verschleppt worden waren, wie zum Beispiel die Familie von Dr. Marjan Sturm, dessen siebenjähriges Schwesterlein Veronika durch eine Todesspritze ums Leben kam und niemals mehr ihren Kärntner Heimatboden betreten konnte. Es war nur logisch, dass viele dieser Wehrmachtssoldaten nicht mehr an die Front zurückkehren wollten und sich lieber dem Widerstand und den Partisanen anschlossen.

Diese Freiheitsbewegung fand auch in der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 Erwähnung, die von den Alliierten verfasst wurde, in der davon die Rede ist, dass Österreich ein Opfer der Angriffspolitik Hitler-Deutschlands geworden sei und es daher wieder ein freies und unabhängiges Land werden solle, wobei die endgültige Einschätzung davon abhängen werde, wie viel Österreich selbst zu seiner Befreiung beizutragen gewillt sei: „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Krieg an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen hat, unvermeidlich sein wird.“ Die Alliierten gaben uns somit auch die Chance zu zeigen, dass es in Österreich nicht nur Täter und Mitläufer gab, sondern auch Regimegegner.

Diesen Widerstandskämpfern und Partisanen haben nach dem Krieg auch Kärntner Politiker ihren Dank abgestattet, wie etwa Landtagspräsident Jakob Sereinigg bei einer Festsitzung des Kärntner Landtages im Jänner 1947, als der Sieg der freien Völker, der militärische Zusammenbruch Nazideutschlands und die Befreiung Österreichs gefeiertwurden. Sereinigg rief damals Folgendes in Erinnerung: „In den Bergen Südslawiens entstand eine Partisanenbewegung, die schließlich von Marschall Tito zusammengefasst wurde und deren nördliche Ausläufer auch in Kärnten den Kampf aufgenommen haben. Deutsche und slowenische Österreicher stießen zu diesen Truppen.“ Landeshauptmann-Stellvertreter Herke

bekräftigte diesen Eindruck noch, als er vom „heldenhaften Kampf der südslawischen Freiheitsbewegung

sprach“. Auch bei den Staatsvertragsverhandlungen berief sich die österreichische

Delegation regelmäßig auf den geleisteten Widerstand und den eigenen Beitrag bei

der Niederringung des Nazismus.

Es mag auch stimmen, dass die Spitze der Partisanenführung andere Ziele verfolgte. Diese

Ziele hießen Kommunismus und Jugoslawien – weshalb es nach dem Zweiten Krieg zu

einer kurzen zweiten Besetzung Südkärntens durch südslawische Truppen kam. Es kam

auch zur Verschleppung von Kärntnern und Steirern, von denen etwa hundert ermordet

wurden, was wir aus tiefstem Herzen bedauern. Ich bin überzeugt davon, dass alle Kärntner

Slowenen heute ebenso empfinden wie ich. Denn für die Morde und Verschleppungen

Unschuldiger gibt es keine Rechtfertigung, kann und darf es keine Entschuldigung geben.

Hohe Festversammlung !

Ich habe durch die Erwähnung der wiederholten Besetzung Südkärntens zweimal die Kärntner

Urangst angesprochen. Aber wir Kärntner Slowenen haben ebenfalls unsere Urängste.

Ich sehe zumindest drei:

Erstens: Gebrochene Versprechen wie der Staatsvertrag von St. Germain, der 1919/20 unterzeichnet

und im kulturellen Bereich bis heute noch nicht erfüllt wurde. Ich denke da

zum Beispiel an die Ungleichberechtigung der beiden Musikschulen im Lande, wo sich die

Förderung pro Kind des Kärntner Musikschulwerkes auf mehr als 1.300 Euro beläuft, für

die Schüler der Slowenischen Musikschule/Glasbena šola, hingegen nur auf 530 Euro. Ich

denke auch an die bereits erwähnte Erklärung des Kärntner Landtages vom 28. September

1920, als den slowenischen Landsleuten ihre sprachliche und nationale Eigenart jetzt und

allezeit sowie ihr geistiges und wirtschaftliches Aufblühen zugesichert wurde. Das ist inzwischen

90 Jahren her. Aber auch vor 55 Jahren gab es Versprechen, und zwar jene, von denen

im Artikel VII des Österreichischen Staatsvertrages die Rede ist.

Zweitens: Die Aussiedlung von Kärntner Familien in Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager

während der Hitlerzeit sowie das Verbot der slowenischen Sprache – nicht

nur in der profanen Öffentlichkeit, sondern auch in der Kirche.

Die dritte Urangst ist der dramatische zahlenmäßige Rückgang der slowenischen Volksgruppe

von ca. 150.000 vor 150 Jahren auf heute vielleicht nicht einmal 15.000 – von damals

ungefähr 30% der Kärntner Bevölkerung auf heute gerade einmal 3%!

Hohe Festversammlung!

Liebe Kärntnerinnen und Kärntner!

Drage Korošice in Korošci!

Viele von uns sind Opfer der Geschichte, manche sogar ihre Geiseln, und auch ich habe

zu viel über die Vergangenheit gesprochen. Vielleicht auch deshalb, weil es schmerzhaft ist

und man jeden Schmerz überwinden will. Jedenfalls geht es bei der Geschichte um die Entdeckung

der Wurzeln unserer Kultur, um das Auffinden und Erkennen der Ursachen von

Konflikten, um die Aufdeckung von Schuld. Weiters kann davon ausgegangen werden, dass

sich das geschichtliche Selbstbild weniger durch komplizierte wissenschaftliche Diskurse

formiert, sondern durch Jubiläen, Festakte oder Festreden, durch Symbole und Gruppen

oder Persönlichkeiten, die sich als Bewahrer von Traditionen verstehen. Das so entstehende

öffentliche Geschichtsbild ist auf beiden Seiten oft oder zumeist mythisch.

Wenn wir von der Vergangenheit sprechen, stellen wir uns wiederholt die berühmten Fragen:

„Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?“ Weitere wichtige Fragen eines

jeden Menschen lauten: „Was ist meine Kernfähigkeit, was sind meine Stärken, was macht

mich einzigartig? In welchen Bereichen bin ich der Beste?“

Das ist insbesondere bei der Entscheidung für eine Ausbildung und bei der Berufswahl

von entscheidender Bedeutung. Ebenso wichtig ist es für jedes Gemeinwesen, also auch für

Kärnten, sich zu fragen: „Was ist Kärntens Kernfähigkeit, was sind Kärntens Stärken, was

macht Kärnten einzigartig? In welchen Bereichen ist Kärnten am besten?“ Das ist für die Positionierung

Kärntens von entscheidender Bedeutung. Kärnten muss sich auf seine Stärken

konzentrieren und mit Elan und Besessenheit an ihnen arbeiten.

Bei meinen Überlegungen möchte ich von bestehenden Stärken ausgehen, aber auch auf

künftige Potentiale hinweisen. Ich sehe dabei fünf größere Bereiche.

1. Kärnten als Kulturgroßmacht

Gerade im Kulturbereich ist Kärnten eine „Großmacht“.

Ich denke da an das Robert Musil Institut in Klagenfurt, wo erfreulicherweise noch ein Robert

Musil Museum dazugekommen ist, ich denke an Christine Lavant, Gert Jonke, Josef

Winkler, an Fabjan Hafner, den Kafkaexperten sowie Dichter und Richter Janko Ferk, an

Florijan Lipuš und den doppelbegabten Gustav Januš, der gleichzeitig dichtet und malt.

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Auch der Weltstar und gefeierte Kommunikationswissenschafter, Psychotherapeut, Soziologe,

Philosoph und Autor Paul Watzlawick aus Villach darf bei dieser Aufzählung nicht

fehlen. Insbesondere denke ich aber an die weltbekannten Schriftsteller Peter Handke, Ingeborg

Bachmann und Peter Turrini, die zu den besten Autoren im deutschen Sprachraum

gehören. Diese Namen führen uns glasklar vor Augen, dass Kärnten eine Literaturgroßmacht

ist. Dazu kommt in der Stadtpfarrkirche St. Egyd noch das Grab des prominenten

Schriftstellers Julien Green, der als erster Nichtfranzose in die berühmte Academie Francaise

aufgenommen wurde und der sich Kärnten als seine letzte Ruhestätte auserkoren hat. Unbedingt

erwähnen sollte man auch den Ingeborg Bachmann Literaturwettbewerb, das Peter

Handke Archiv sowie die einzigartige Sir Charles Popper Bibliothek der Universität Klagenfurt.

Eigentlich müsste, falls er noch nicht besteht, ähnlich dem Hemmaweg, ein Kärntner

Literaturweg oder Literaturpfad eingerichtet werden. Eine Pilgerstätte für die große, auf der

ganzen Welt lebende Schar von Anhängern von Handke, Turrini, etc.

Ähnlich ist es auch im musikalischen Bereich, wo es ebenfalls zu Sternstunden der Menschheit

kam. Denn Johannes Brahms hat in Pörtschach seine wahrscheinlich beste Symphonie,

die II. Symphonie komponiert und sein berühmtes Violinkonzert. Brahms soll übrigens

auch gesagt haben: „Hier in Kärnten schwirren die Melodien durch die Luft!“ Kein Wunder

bei so vielen wunderschönen Kärntnerliedern. Auch Gustav Mahler hat seine Symphonien

IV bis VIII und die berühmten Kindertotenlieder in Kärnten komponiert. Weitere bekannte

Komponisten, die sich in Kärnten gern und wiederholt aufgehalten haben, waren Alban

Berg und Anton von Webern, Hugo Wolf hatte Verwandte im Bleiburger Raum. Auch

Rudolf Kattnig, der die slowenischen Tänze komponiert hat, war ein bemerkenswerter

Kärntner Komponist. Zu den musikalischen Fixpunkten zählen natürlich die zahlreichen

Festivals mit dem Carinthischen Sommer an der Spitze. Zur Aufzählung gehören unbedingt

auch die Jazzmusiker Karl-Heinz Miklin, Wolfgang Puschnig oder Tonč Feinig und viele

andere. Keineswegs darf hier Udo Jürgens fehlen, der seine Begabungen im Bereich des

Chansons und des gehobenen Schlagers ungemein erfolgreich entwickelt hat.

Eine weitere bereits bestehende Stärke Kärntens ist das einzigartige Kärntnerlied, das als das

schönste Österreichs gilt und sich von allen Liedern anderer Bundesländer deutlich unterscheidet.

Warum? Sicherlich darum, weil es auf slawischem Hintergrund entstanden ist. Das

Kärntnerlied ist voll von Melancholie, Schwermut und Sehnsucht, ungestillter Sehnsucht.

Überhaupt ist der Kärntner ein Sehnsuchtsmensch und ein Heimwehmensch. Egal welcher

Muttersprache. Der Kärntner ist der geborene Sänger und sogar die fröhlichsten Lieder haben

einen Anklang von Wehmut. Das provozierte eine (slowenischsprachige) Amerikanerin,

die den Gailtaler Peter Millonig geheiratet hat, zu der Feststellung, dass die Kärntner

ununterbrochen Heimatlieder singen und dessen ungeachtet sogar zu Hause Heimweh

haben.

Stimmt. Außerdem ist das Kärntnerlied in der Melodik weiträumiger und bekannt

für seine Verzierungen und Ausschmückungen. Kärnten dürfte wohl das Bundesland mit

dem größten Prozentsatz an Chören, wirklich wunderbaren Chören sein, wobei ich einige

Lieblingsformationen nennen darf, wie das Oktett Suha oder die Brüder Smrtnik. Auch die

5 Gailtaler aus der Oisternigfamilie schätze ich sehr oder das Quintett Karnitzen. Sie singen

nämlich alte Gailtaler Kirchtagslieder, Dreikönigslieder, Totenlieder und Kirchenlieder in

beiden Landessprachen, weil dieses Liedgut zum Wertvollsten gehört, was das Gailtal besitzt.

Es ist auch typisch, dass es laut Hans Mosser aus Griffen eine ganze Anzahl von Kärntnerliedern

gibt, mit gleicher Melodie und identen, manchmal auch verschiedenen Texten in

slowenischer und deutscher Sprache wie „Čakali smo novega leta dan“ – „Was wird uns

denn bringen das neue Jahr“, „Oj te mlinar“ – „Du weast jo mei Diandle nit liabn“, „Moj

puabeč je furman“ – „Bei der Gurkn bin i gongn“, „Kadar Zila noj Drava“ – „Hot schon

ans gschlogn“ und andere.

Nur am Rande sei erwähnt, dass eine Weglassung oder Verdrängung nur eines einzigen

Liedes nicht nur eine Verarmung Kärntens und somit eine kulturelle Amputation bedeuten

würde, sondern diese, wie die Verdrängung jeder Kultur, auch einen Phantomschmerz verursachen

würde. Wegen der fehlenden und verdrängten zweiten Kultur. Das kann sich doch

niemand von uns wirklich wünschen.

Schließlich wären noch die Maler des Nötscher Kreises zu erwähnen: Mahringer, Wiegele,

Kolig und Isepp. Weiters der mystische Werner Berg, Valentin Oman, Kiki Kogelnik und

insbesondere der 1894 in Klagenfurt geborene Herbert Böckl, einer der Hauptvertreter der

österreichischen Moderne sowie die 1919 in Kappel am Krappfeld geborene Künstlerin

Maria

Lassnig, die mit ihrer „Körpergefühlsmalerei“ einen ganz eigenen spezifischen Ausdruck

und dadurch auch Berühmtheit erlangt hat. Weitere große Namen sind Josef Ferdinand

Fromiller, Marko Pernat/Markus Pernhart, Herbert Böckl, Kiki Kogelnik, Hans Staudacher,

Heimo Zobernig, Giselbert Hoke, Peter Krawagna, Julian Taupe, Valentin Oman,

Petar Waldegg oder Gustav Januš, der dichtende Maler. Bei dieser Aufzählung darf auch das

phänomenale und wirklich einzigartige Museum Liaunig in Suha/Neuhaus nicht fehlen, ein

wahrlich herausragendes Projekt.

Wenn man noch den früheren Schauspielintendanten der Salzburger Festspiele und Starregisseur

Martin Kušej erwähnt oder das Stadttheater Klagenfurt, wo es unter dem Kärntner

Dietmar Pflegerl einige Weltpremieren deutschsprachiger Theaterstücke und andere erstklassige

Aufführungen gab, dann ist das Bild der Kulturgroßmacht Kärnten ziemlich gut

abgerundet.

Die Buntheit ist es – die Breite und Spitze, Hochkultur und qualitätsvolle Volkskultur,

die uns erlauben zu sagen, dass Kärnten ein Vulkan an Begabungen ist und sich Kärnten,

europäisch

betrachtet, in diesem Bereich auch weiterhin hervorragend positionieren könnte.

Kärnten könnte durchaus ein Mekka, eine berühmte Pilgerstätte, in den Bereichen Literatur

und Kunst werden. Wie Bilbao.

2. Das zweite Standbein hat indirekt auch mit Kultur zu tun und ich würde diesen Bereich

als Bereich Eventkultur, Körperkultur, Sport, Fitness und Wellness bezeichnen.

Dazu gehört das manchmal umstrittene Konglomerat der GTI- oder Harley-Davidson-

Treffen, der großartige Ironman Bewerb, das publikumswirksame Beach-Volleyball Turnier,

die Fußball Europameisterschaft, die Vorstellungen auf der Wörtherseebühne, das

wunderschöne Dellacher Golfhotel und andere Golfanlagen, die Klangwelle Wörthersee,

Bad Kleinkirchheim, Velden etc. In diesem Bereich könnte man auch Gallionsfiguren wie

die Schilegende Franz Klammer, den ORF-Star Armin Assinger, Udo Jürgens und andere

Kärntner oder Kärntenfreunde gewinnen, die für eine noch bessere Positionierung unseres

Landes in Europa werben.

3. Zu den Vorzügen Kärntens gehören auch die Geographie, die Landschaft sowie die

Nähe zum Nachbarn Slowenien.

Kärnten liegt, wie es so oft heißt, am Schnittpunkt der drei großen europäischen Kulturkreise,

am Punkt, wo sich die drei großen Kulturen Europas berühren, die germanische,

slawische und romanische Welt, es liegt aber auch geographisch und verkehrsmäßig am

Schnittpunkt der großen Korridore und wenn wir uns das Villacher Autobahnkreuz vor

unserem geistigen Auge vorstellen, dann führen diese Wege auch tatsächlich in den Süden,

Westen und Osten bzw. Südosten Europas. Kärnten demnach auch als Brücke nach Südosteuropa.

Insgesamt haben 700 österreichische Unternehmen in Slowenien investiert, darunter viele

aus Kärnten, wie die Wietersdorfer-Gruppe mit dem Sitz in Klagenfurt, das Kärntner

Holzunternehmen Hasslacher, die Kärntner Sparkasse oder die Hypo-Bank, die Firma Baumax

und viele andere erfolgreiche Kärntner Unternehmen.

Und auch darin liegt eine große Chance!

Gigantische Märkte liegen direkt vor unserer Haustür und können innerhalb von Stunden

erreicht werden. Ich denke an Italien, Ungarn und Kroatien, insbesondere aber an

Slowenien, das schon mehrere Jahre Mitglied der EU ist und dieses gemeinsame Haus Europa

zusammen mit Österreich bewohnt. Slowenien ist – exportseitig – für Österreich das

zwölftgrößte Land der Welt. Mit den zwei Exportmilliarden ist es für uns ein größerer Exportmarkt

als Skandinavien, Indien oder Japan. Und das alles vor unserer Haustür. Ohne

Zollformalitäten und beinahe ohne Transportkosten. Ein Land, wo viele Kärntner in hoch

bezahlten Jobs tätig sind, wie in Banken, Versicherungen oder im lukrativen Servicebereich.

Was die prächtige Landschaft betrifft, so ist diese neben den Mädchen oder den „Schotzis“

das wahrscheinlich am häufigsten besungene Thema, was auch kein Wunder ist, denn Kärnten

ist atemberaubend schön und ich kann das mit voller Überzeugung sagen, habe ich doch

in meinem diplomatischen Leben auf drei Kontinenten gearbeitet und eine Frau aus einem

vierten geheiratet.

Aber von der Schönheit allein kann man nicht leben. Das hat auch meine 17-jährige Tochter

Valentina in einem Aufsatz zum 10. Oktober konstatiert, als sie meinte: „Kärnten ist ein

wunderschönes Bundesland. Uns fehlt es an nichts: Wir haben Seen, Berge, Wälder, Täler

und gutes Wetter. Wie sehr liebe ich diese prächtige Landschaft. Doch ein Land kann sich

nicht nur von seiner geografischen Schönheit ernähren. Es gehört mehr dazu: Toleranz,

Respekt und Reife. Doch solange das nicht alle einsehen, wird Kärnten immer nur ein Land

der schönen Gegenden bleiben, mehr aber nicht.”

Trotz ihrer kritischen Haltung liebt Valentina diese „prächtige Landschaft“. Man kann daraus

aber sehr viel mehr machen, auch für das Land. Man kann z.B. noch mehr berühmte

und erfolgreiche Industrielle in das Land holen, damit sie zumindest einen Teil ihrer Zeit in

Kärnten verbringen und vielleicht auch etwas investieren, wie etwa Frank Stronach oder der

Vorstandsdirektor von Andritz, Dr. Leitner, der sich den Millstättersee als Sommersitz und

Sele/Zell als Jagdrevier auserkoren hat.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass so mancher Universitätsprofessor oder Arzt von Weltgeltung

gerade deshalb eine Professur oder einen Job in Klagenfurt oder Villach angenommen

hat oder annehmen wird, weil er am Wörthersee wohnen kann. Ich kenne einen

Wiener Musiker, dessen Bruder Philharmoniker ist, der die Landschaft Kärntens und die

geographische Situation zwischen Salzburg, Venedig und Abbazia dermaßen schätzt, dass

er dieses Paradies niemals verlassen würde. Auch Papst Benedikt XVI. hat als Gast von

Diözesanbischof

Egon Kapellari gerne und wiederholt Urlaub in Kärnten gemacht.

4. Hochtechnologie, Wirtschaft und Humankapital

Persönlich bin ich zwar der Auffassung, dass alle Produkte intelligent sind, die Gewinne

machen. Dennoch bin ich ein großer Fan von Hochtechnologie und ich darf mit Genugtuung

festhalten, dass es in Kärnten mehr Arbeitsplätze in der Hochtechnologie gibt, als im

Tourismus. Sicherlich spielt Infineon mit ca. 3000 Beschäftigten eine Rolle, aber auch der

zukunftsorientierte Lakeside Park, wo übrigens auch ein Lakeside Kunstraum mit einem

spannenden Programm untergebracht ist. Oder das Filterwerk Mahle, das regelmäßig großeBeträge

in Hochtechnologie investiert, um nur einige zu nennen. Auch Umwelttechnik,

Alternativenergie und Industriemaschinen aus Kärnten sind gefragte Produkte. Oder gepanzerte

Autos aus dem Hause Valentin Tusch aus Keutschach.

Ich könnte mir Kärnten auch als erstes Bundesland o h n e Ölheizung vorstellen, wer hindert

uns daran. Mit Elektrofahrzeugen haben wir ja bereits gut begonnen. Diese und andere

Bereiche müssen ausgeweitet werden.

Zur Hochtechnologie und der Wirtschaft gehört auch die Universität Klagenfurt und ich

möchte sie in diesem Zusammenhang als großen Glücksfall bezeichnen. Sie ist ein nicht

wegzudenkender fixer Bestandteil Kärntens und ihre Bedeutung wird in Zukunft noch zunehmen.

Man soll also von Standortvorteilen ausgehen und sich darüber hinaus auch auf

Nischen und Einzelbegabungen konzentrieren.

Bedauerlicherweise haben ca. 90.000 Kärntner ihr Heimatbundesland verlassen und leben

in Wien oder anderswo. Vieles geschieht aus objektiven Gründen. Auch ich kann in meinem

Beruf nur außerhalb Kärntens Beschäftigung finden. Vielleicht wäre es aber überlegenswert,

eine Kärntner Rückholaktion anzudenken. Eine Rückholaktion für begabte Kärntner und

Kärntnerinnen, für eventuell bereits im Ruhestand befindliche Kärntner und Kärntnerinnen,

die mehr Zeit hätten, als Consultanten zur Verfügung zu stehen. Eine Rückholaktion

für begabte junge Kärntner und Kärntnerinnen mit damit verbundenen Förderungsmaßnahmen

oder Hilfe bei der Wohnungssuche. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Ich meine, dass dieses gigantische Humankapital verstärkt angezapft werden sollte und dass

es möglich sein müsste, diese Talente, diese Wirtschaftskapitäne zumindest teilweise wieder

an Kärnten zu binden. Den Wienerberger-Sanierer Schaschl aus dem Rosental, der diesen

Betrieb zum größten Ziegelkonzern der Welt ausgebaut hat, den GKK-Werbechef Schmidt

oder den Gründer der Werbeagentur Publico Wolfgang Rosam, Botschafter Wolfgang

Petritsch

oder Wolfgang Puck aus Los Angeles, Peter Löscher von Siemens, Herrn Brabeck

vom Nestle Konzern und viele andere. Auch Nichtkärntner wären willkommen, denn jede

Spitzenkraft bringt Talente und Begabungen mit sich, wovon unser Bundesland nur profitieren

kann. Kärnten wäre dann ein dynamisches Land, das Talente zu Hause hätte, gepaart

mit befruchtenden Begabungen von außen.

5. Weitere Anregungen

Was Einzelbegabungen betrifft, so kommen mir geniale Kärntner Tüftler und Talente in den

Sinn, die ohne Rücksicht auf ihre Umwelt erfolgreich geworden sind und die bereit wären,

in unserem Bundesland z.B. Schulen zu gründen oder Spezialkurse abzuhalten. Wolfgang

Puck für Köche, Udo Jürgens für Sänger, Franz Klammer für Schitalente. Und wenn wir

einen kärntnerischen Karajan hätten, dann müssten wir, um ihn an Kärnten zu binden,

eigens eine Carinthische Philharmonie gründen. Kärnten wäre dann wirklich ein kulturelles

und wissenschaftliches Biotop, wo Spitzenkapazitäten gerne vorbeischauen und einige auch

bleiben oder sich niederlassen würden.

Ein bereits vorhandener Startvorteil ist sicherlich die enorme Reserve an Holz als Rohmaterial,

das Kärnten nur verarbeitet und veredelt verlassen dürfte. Hier kommt mir auch

der schon mehrfach angedachte Holzcluster in den Sinn, aber in diesem Bereich geschehen

ohnehin schon erstaunliche Dinge.

In Erinnerung ist mir aber auch eine Kärntner Firma aus dem Unterland geblieben, die

sich auf kostspielige Holzarmaturen und teure Innenausstattung auf Yachten spezialisiert

hat und bis in das Jahr 2012 ausgebucht ist. Hut ab vor solchen Unternehmen! Kärnten

wäre auch eine hervorragende Drehscheibe für den Stiftungsboom bzw. für gemeinnützige

Privatstiftungen, wie von Prof. Pelzman angeregt.

Volksgruppe

Ich habe die Frage der Volksgruppe oder der Ortstafeln bisher nicht eigens angeschnitten,

denn in allen erwähnten Bereichen ist die Volksgruppe irgendwie präsent, ob in Kultur

oder Wirtschaft. Auch bei der Rolle Kärntens als Brücke zum europäischen Osten und

Südosten kann die Volksgruppe eine wesentliche Rolle spielen. So gibt es mehrere Bankdirektoren

in Slowenien, die der Volksgruppe angehören oder Alois Kraut aus Bistrica pri

Šmihelu/Feistritz bei St. Michael, der österreichische Botschafter in Mazedonien ist, Wolfgang

Petritsch

oder meine Wenigkeit. Der Präsident des Kärntner Radsportverbandes, Etappenzweiter

der Tour de France, Paco Wrolich ist ebenso ein begabter Brückenbauer und

Volksgruppenangehöriger, wie auch der vielsprachige Dipl.-Ing. Hans Mikl, Direktor der

Kärntner Landwirtschaftskammer.

So wie einst die Kärntner Stände und viele Generationen von Kärntnern und Kärntnerinnen

stolz waren auf ihre Landesgeschichte und ihre Zweisprachigkeit, auf das Anderssein,

so sollten auch wir heute stolz sein, dass in Kärnten zwei Sprachen gesprochen werden. Im

Sinne von Geschichte und Kultur, aber auch im Sinne von größeren wirtschaftlichen Möglichkeiten

unter dem Motto: „Zwei Sprachen, doppelte Chancen! Was ist meine Kernfähigkeit

oder Kernkompetenz, was sind meine Stärken, was macht mich einzigartig? In welchen

Bereichen bin ich der Beste?

Mit der deutschen Sprache öffnet sich uns die große germanische Welt und mit der slowenischen

die slawische Welt, die bis China und Japan reicht. Slowenisch also als Eintrittssprache

in die slawische Welt (Haselsteiner), aber auch als Zutrittssprache zu unserem Nachbarn im

Land. Diese Vertrautheitssprache (Handke) der Volksgruppe zu erlernen, wäre eine besondere

Geste gegenüber dem Nachbarn im Land. Slowenisch ist aber auch eine Amtssprache

der EU und die Sprache des Nachbarlandes Slowenien.

Denn, wie einmal Univ.-Prof. Pohl meinte, die Namen in beiden Sprachen sind als erstrangiges

und auch unteilbares Kulturgut Kärntens zu betrachten, als Zeugnis der gegenseitigen

Durchdringung beider Sprachen. Und das kulturelle Profil einer Landschaft, ihrer Eigenart,

wird auch durch das bodenständige Namensgut, ob deutsch oder slowenisch, wesentlich

mitbestimmt.

Liebe Festgäste! Dragi sodeželani in prijatelji!

Ortstafeln

Zu diesem bodenständigen Namensgut gehören auch Ortsnamen. Und so wie jeder Mensch

einen Vor- und Nachnamen hat oder Bauernhäuser Vulgonamen haben, so haben

wir auch

Ortsnamen. Alle Namen sind ein Teil unserer Identität und wenn die Namen in gleicher

Größe angebracht werden, dann bedeutet dies, dass wir voll anerkannt sind, dass wir gleichberechtigt

sind. Natürlich haben die Ortstafeln eine hohe symbolische Bedeutung. Außerdem

sind sie in internationalen Verträgen verankert. Demnach sind die österreichische Verfassung,

die dieser Tage ebenfalls den 90. Geburtstag gefeiert hat, und der Artikel VII des

Österreichischen Staatsvertrages aus dem Jahre 1955 unsere Magna Charta, ebenso wie die

Urteile des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes.

Insgesamt geht es uns aber um eine Klimaänderung. Wir möchten in einer toleranten, weltoffenen

und erfolgreichen Gesellschaft leben, wo man mit zwei oder mehreren Sprachen

größere Chancen hat und sich damit in einer globalisierten Welt leichter durchsetzt.

Deshalb habe ich bisher kaum von Ortstafeln gesprochen, mehr von der Großwetterlage,

denn bei einem guten Klima kommen die Ortstafeln von alleine. Und sicherlich wird die

Volksgruppe jeder Regelung zustimmen, die mit Anstand zustande kommt.

Auch bei dieser Frage, deren Lösung auf der österreichischen Verfassung und der österreichischen

Rechtssprechung beruhen sollte, können wir sagen, dass wir alle Pilger oder Wanderer

sind, die manchmal enger beisammen, manchmal entfernter sind, aber wir alle haben eine

tiefe Sehnsucht nach einem Bruder oder einer Schwester, eine große Sehnsucht nach Harmonie,

Brüderlichkeit und Wärme.

Perspektiven und Visionen

Wenn ich mir die jungen Sänger hier im Saal anschaue, dann frage ich mich, in was für einem

Kärnten diese jungen Menschen wohl leben werden, wie wird Kärnten 2020 aussehen,

wie wird man den 100. Jahrestag der Volksabstimmung feiern?

Slowenien wird zu den älteren EU-Staaten gehören, die Karawanken werden noch niedriger

sein, vielleicht wird man schon einen Loiblpass Basistunnel planen. Die Grenzen werden

nicht verschwinden, aber Slowenien und Kärnten werden gemeinsam mit Friaul engstens

zusammenarbeiten. Am Dreiländereck werden drei Staaten kooperieren, aber es wird nur

eine Region geben. Eine blühende Region und Kärnten wird dazu einen unverwechselbaren

Beitrag leisten. Bei Infineon-Chefin Monika Kircher-Kohl, wo schon heute 24 Sprachen

gesprochen werden, werden weiterhin die besten Köpfe aus aller Welt tätig sein, die in der

schönsten Landschaft der Welt, ideal gelegen zwischen Salzburg, Wien, Ljubljana und Venedig,

wohnen und kreativ arbeiten werden.

Die Familie der Kärntner Slowenen wird noch kleiner werden, der Respekt aber größer.

Es wird aber mehr Traditionsslowenen, Sympathie- und Herzensslowenen geben. Die Anmeldungen

zum Slowenischunterricht, die in meiner Kindheit 14 Prozent betragen haben,

werden sich Richtung 80 Prozent bewegen, mehrsprachige Kindergärten wird es in ganz

Kärnten geben und die Eltern werden diese kategorisch fordern. Nicht nur um den Kindern

in einer globalisierten Welt größere Chancen zu gewährleisten, sondern auch aus liebevollem

Respekt zu den Nachbarn im Lande.

Kärnten wird ein spannendes vielstimmiges und vielsprachiges Land sein, wo sich im Sommer

an den Kärntner Seen die Elite des Landes mit jener aus der ganzen Welt, aus Kalifornien

und aus Sarajevo oder Australien kommend, treffen und sich ein Stelldichein geben wird.

Eine Elite, die sich im Stadttheater Klagenfurt zu Welturaufführungen von kärntnerischen

Autoren und Autorinnen treffen wird.

Die Generation unserer Eltern wird morgens mit Freude aufwachen und wegen eines unliebsamen

Leserbriefes oder einer Äußerung eines Politikers nicht mehr zittern müssen, wie

früher. Die zweite Landessprache wird eine Normalität und Selbstverständlichkeit sein. Es

wird keine Beklemmungen mehr geben und die Ortstafeln werden nur mehr für Touristen

ein interessantes Thema sein und eventuell für Historiker. Über ihnen wird kein Frostschleier

mehr hängen. Die einheimische Bevölkerung wird bei ihnen manchmal Erinnerungsfeste

feiern und mit Unglauben an die längst vergangene Problematik denken.

Fest verwurzelt in der Vergangenheit wird Kärnten jedoch nicht mehr wegen seiner Abwehrhaltung

bekannt sein, sondern wegen seiner erfolgreichen, toleranten, weltoffenen und

mehrsprachigen, strategisch nach vorwärts gerichteten Gesellschaft. Viele Kärntner und

Kärntnerinnen werden ein oder zwei Studien abgeschlossen haben und vier oder mehr Sprachen

sprechen, um fit zu sein für den Wettbewerb in der globalisierten Welt und überhaupt

wird Kärnten als Wissensgesellschaft einen ausgezeichneten Ruf genießen. Qualität wird

unsere Identität sein. Das K wird Qualität bedeuten. Kein Talent wird unentdeckt bleiben,

alle Potentiale und Schätze werden gehoben werden.

Das geheime Herz Kärntens mit seinen zwei Kammern, der slowenischen und der deutschen,

wird noch stärker pochen, noch viel stärker pulsieren und die Kärntner Lunge mit

ihren beiden Lungenhälften wird noch voller durchatmen. Zu guter Letzt wird Kärnten fest

auf beiden Beinen stehen und auf beide Kulturen stolz sein.

Es werden sich auch die Worte meines Ur-Uronkels Andrej Einspieler, der slowenischer

Geistlicher und 27 Jahre lang Mitglied der ersten drei Kärntner Landtage in diesem Gebäude

war, bewahrheiten, der 1863 sagte: „Wir Slowenen wollen wie Jahrhunderte hindurch

auch hinfort mit Deutschen in Frieden, in Eintracht und in Brüderlichkeit leben.“ Er sprach

deshalb auch häufig vom deutschen Bruder im Lande. In 10 Jahren, 2020, werden wir „ein

einig Land von Brüdern“ sein, was mich als leidenschaftlichen Kärntner besonders freuen

wird. Vor allem werden wir aber 2020 wirklich gemeinsam feiern. Gemeinsam haben wir

1920 abgestimmt, gemeinsam wollen wir 2020 auch feiern, was schon heute in Sittersdorf

der Fall ist.

Wenn ich über 2020 nachdenke, kommt mir auch eines der schönsten Kärntner Lieder in

den Sinn, „In da Mölltalleitn“. Wie sie wissen, gedeiht in „da Mölltalleitn, auf da Sunnaseitn“

alles besser, „blian“ auch die „Bleamalan“ viel schöner. Man kann damit ein Streussle

binden und es den Diandlan geben, die auf da Sunnaseiten ebenfalls hübscher sind. Die

schönste Strophe ist jedoch die letzte: „Wenns mi aussetrogn´, auf an hölzarn Schrogn´,

bleibts in da Sunnaseitn´noch mol stean!“ Meine Festgäste, ein unglaublich starker Wunsch

eines Menschen, der immer in da Schottenseitn glebt und immer von da Sunnaseitn geträumt

hat; und der schließlich den Wunsch äußerte, beim letzten Gang, noch einmal auf

die Sonnenseite gebracht zu werden. „Wenns mi aussetrogn´, bleibts in da Sunnaseitn´noch

mol stean!“ Glauben Sie mir, auch viele Volksgruppenangehörige wollen das, die Volksgruppenangehörigen

wollen ebenfalls auf der Sonnenseite leben und „stean“.

Werte Festgäste!

Kärnten könnte 2020 noch mehr als heute ein Land von Brüdern sein. Und es wird ein

Land sein, frei von Ängsten und ungeteilt in Köpfen und Herzen. Und die Kärntner und

Kärntnerinnen werden gelassene, souveräne und moderne Menschen sein.

Ohne unsere Identität zu verlieren, werden wir einander mit „Dober dan“ oder „Guten Tag“

begrüßen und mit „Srečno“ oder „auf Wiedersehen“ verabschieden. Univ.-Prof. Dr. Klingler

hat einmal in einem kleinen Kreis erläutert, dass man das slowenische Wort „srečno“, mit

dem man sich unter Slowenen verabschiedet, nicht mit „auf Wiedersehen“ übersetzen sollte,

sondern richtiger mit „Wann machen wir einander wieder glücklich?“

„Wann machen wir einander wieder glücklich, Kärnten?“

„Wann machen wir einander wieder glücklich, Bruder?“

„Wann machen wir einander wieder glücklich, Schwester?“

Wäre dieser Gruß nicht eine wunderschöne Devise auch für die künftige Zusammenarbeit

in unserer gemeinsamen Heimat Kärnten?

In diesem Sinne:

Srečno, Kärnten! Srečno, Koroška!

Hvala lepa, buhvoni!