Novemberpogrom 1938
„Ich war neun Jahre alt und war statt in der vierten Klasse Volksschule in der Vorbereitungsklassse für das Gymnasium. Plötzlich hat man uns mitten aus dem Unterricht geholt und wir mußten alle auf den Hauptplatz marschieren. Das ganze Gymnasium ist unter der Führung der Lehrer zum Hauptplatz marschiert. Dort hat man durch Lautsprecher eine Rede gehört. Irgend etwas von einem Mord in Paris. Ich habe nichts verstanden. Als ich heim kam, sind die Mutter und die Tante weinend in der Küche gesessen. Sie haben vor Aufregung gezittert, weil im Nachbarhaus die Möbel aus dem Fenster geflogen sind, und die Teppiche usw. Sie erzählte, daß Arbeiter in blauer Arbeitermontur mit Lastautos hergeführt wurden. Das war organisiert. Das war kein Volkszorn, sondern die sind aus irgendeiner Fabrik geholt worden und mit dem Lastauto zu den jeweiligen Judenwohnungen gebracht worden. Dort haben sie dann alles kaputt gemacht. Sie haben die Gläser mit dem eingekochten gegen die Wand geschmissen und auch die Eier. Der Herr Weißberger war schon eingesperrt. Die Frau war keine Jüdin, sie war mit der Tochter allein zu Hause und mußte alles miterleben. Die Arbeiter sind noch zu uns hergekommen um eine Hacke zu holen, damit sie das Klavier zerhacken können, weil es für das Fenster zu groß war. Spät am Abend ist eine Nachbarin, sie war eine illegale Nazisozialistin, sehr angesehen und konnte sich das erlauben, mit ein paar Kisten zu dieser armen Frau hingegangen und hat ihr die Kisten gebracht, damit sie nicht am Boden sitzen muß, weil die Wohnung war komplett ausgeleert. Am Abend sind die Eltern nachschauen gegangen, ob sie das überall gemacht haben – so viele Juden waren nicht in Villach – und bei den anderen Wohnungen war auch alles auf der Straße. Nach dem Krieg kamen sie zurück und die Tochter erzählte mir: „Die gesamte Familie wollte später nach Italien auswandern aber die italienische Grenze war schon zu, und so sind sie nach Jugoslawien geflüchtet. Als die Deutschen in Jugoslawien einmarschiert sind, haben sie sich zu den Partisanen geschlagen. so haben sie die Jahre überlebt.“ Das Paradoxe dabei ist, daß er während des Kärntner Abwehrkampfes in Rosenbach oder Rosegg als Notar tätig war. Jedenfalls hat er sich beim Abwehrkampf verdient gemacht und wurde auch ausgezeichnet. Ein Abwehrkämpfer mußte also nach Jugoslawien fliehen um zu überleben. als sie nach dem Krieg wieder zurückkamen, haben sie die Wohnung wiederbekommen. Er hat dann wieder als Notar gearbeitet. Die Tochter hat die Matura als Externistin nachgemacht und dann Bodenkultur studiert.“
Quelle:
Interview, geführt von Herwig Burian.