Martin Dueller – Gedenken Mai 2021
Ansprache von Martin Dueller, Theatermacher
Ich bin weder Historiker noch Philosoph oder Politikwissenschaftler und umso mehr ist es mir eine Ehre, heute hier sprechen zu dürfen. Und weil es mir eine Ehre ist, hab ich mir vielleicht zuviel Gedanken gemacht, was ich hier formulieren könnte, ob ich etwas Literarisches hervorkrame oder einen historischen Zeugen in Erinnerung rufe. Watzlawick wär mir eingefallen, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre und – so liest man es in der Biographie – aus seiner Abneigung gegen das Nazi-Regime keinen Hehl machte. Hier also meine Ansprache, ich spreche was an.
Als Kunstschaffender sei es mir erlaubt, einen sehr direkten und also subjektiven Zugang zu wählen, ich weiß ohnehin nicht ob Objektivität überhaupt herrscht.
Als mich meine Frau vor etwas mehr als 5 Jahren – die Flucht der Menschen vor Krieg und Elend wurde durchgehend als Flüchtlingskrise bezeichnet, sowohl von der Politik wie auch unreflektiert von den Medien – fragte, ob ich denke, dass ein Krieg bei uns auch wieder möglich wäre, habe ich im gleichen Moment und vollster Überzeugung gesagt, dass ich nicht glaube, dass dahingehend irgendeine Gefahr droht und wir uns glücklich schätzen können, in Mitteleuropa zu leben. Für sie fühlte sich die Zeit dennoch unheimlich an.
Schon zwei Jahre später war ich mir nicht mehr so sicher. Es war aber schon mehr als ein unbestimmbares Gefühl, denn die Stimmung drohte tatsächlich an allen Ecken und Enden zu kippen. Völkerrechtliche Abkommen wurden außer Kraft gesetzt und ignoriert, die Menschenrechte mit Füßen getreten. Und sowas wie Krieg oder zumindest ein ernstzunehmender größerer Konflikt schien näher zu rücken.
Ich benutze die Vergangenheit, aber das trifft auch auf die Gegenwart zu.
Ich fürchte mich bis heute nicht vor Menschen, die Grenzen übertreten, sondern Grenzen die gesellschaftlich überschritten werden, rote Linien, die aber Markierungen auf einem Weg sind. Zahlreich waren die Diskussionen in den letzten Jahren, die davon abwichen, dass jeder Mensch grundsätzlich die gleichen Rechte hat.
Sowas darf selbstverständlich nicht existieren, nämlich Schönwetter-Rechte, die gelten, solange man damit gut leben kann und in Frage gestellt werden, sobald es etwas schwieriger wird.
Auch unseren Rechtsstaat hätte ich als halbwegs gefestigt gesehen, aber auch darin würde ich mittlerweile nicht mehr hundertprozentig vertrauen, darauf würde ich mich nicht verlassen wollen … müssen.
Vor 3 Jahren habe ich ein Stück von Ferdinand von Schirach (Ja, der Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach und dessen Ehefrau Henriette von Schirach) inszeniert, es hieß „Terror“ und die Grundfrage des Stücks ist: Dürfen wir im Ausnahmefall unsere Grundprinzipien aussetzen? Das Publikum konnte abstimmen, ob ein Pilot, der sich über die Verfassung hinweggesetzt hat, zu verurteilen ist oder nicht. Ein fiktiver Fall. Ich habe versucht objektiv zu bleiben, aber meine Antwort war klar: Natürlich nicht. Nie. Ich habe gewagt, einen Freispruch zu kommentieren, was so im Stück nicht vorgesehen war und wofür ich ungewöhnlich heftige Reaktionen bekam.
Was zum Wohle und Vorteil aller im Rechtsstaat festgelegt wurde muss auch immer Gültigkeit behalten. Ein Diskurs darüber muss natürlich ebenso möglich sein, die Gründe dafür sind aber meist niedere und sie bleiben durchschaubar.
Das Erwähnenswerte sind aber drei Begegnungen, die ich während der Vorbereitungen für das Theaterstück machen durfte. Einerseits lernte ich den sehr beeindruckenden Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien kennen, Friedrich Forsthuber, der sich sehr um das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und die Aufarbeitung der Geschichte seines Hauses im 8. Bezirk, in dem mit der Guillotine gemordet wurde, verdient macht. Einem Haus, in dem im Jahre 1943 aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit und demokratischen Gesinnung auch 13 Menschen aus Zell/Sele ermordet worden. Durch Friedrich Forsthuber lernte ich auch Armin Zitter kennen, ein Kärntner, der in Wien lebt und das Buch „Flieg Schwalbe, flieg…- Ein Eisenbahnerschicksal im Nationalsozialismus“ geschrieben hat. Er erzählt darin, wie wichtig die Eisenbahn natürlich für den nationalsozialistischen Staat war, wie hungernde Todgeweihte transportiert wurden und über mutige widerständige Eisenbahner, die versuchten zu helfen, mit Essen und mitunter auch mit Sabotage und dies teilweise mit dem Leben bezahlten. Das Buch ist eine große Empfehlung.
Und – und darin komme ich wieder zu meinem Faden zurück – ich war bei einer Veranstaltung im Wiener Justizpalast, die FPÖ/ÖVP-Regierung war noch am Ruder und ich saß dort in einem Raum mit TopjuristInnen und PolitikerInnen und Intellektuellen des Landes. Und dort sitzend und einem ehemaligen Justizminister, der sich aus dem Publikum gemeldet hatte, zuhörend, war mir klar, dass unser Rechtsstaat doch sehr viel fragiler ist, als ich dachte. Der ehemalige Justizminister formulierte ganz offen seine Ängste und teilte offen sein Wissen um den Angriff auf den Rechtsstaat. Als ich das Gebäude verließ, drehte ich mich um und sah es brennen.
Mittlerweile wissen wir durch die Vorkommnisse im BVT, mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, den Angriffen auf die Justiz und dem nonchalanten Missachten von rechtsstaatlichen Prinzipien und der dehnbaren Auslegung der Verfassung (viel zu lange wurde ja auch dem Treiben Jörg Haiders zugeschaut), dass Vieles sehr instabil und – bis das Verfassungsgericht oder der Bundespräsident einschreitet – auch zu lange als hinterfragbar hingenommen wird. Das ist gefährlich.
Tja. Die großflächige Barbarei des 20. Jahrhunderts haben wir vielleicht bei uns überwunden, aber letztlich bleibt das „vielleicht“. Jegliche Tendenz sollte nicht übersehen werden. Und jetzt zitiere ich vielleicht doch etwas: „Wehre den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind.“
Ich zirkel wieder etwas zurück, denn Krieg mag bei uns nicht so präsent sein, aber die Folgen sind es in einer globalisierten Welt. Ob die ferne Gegenwart nun ganz nah medial an uns herangetragen wird oder auch weiter durch Menschen, die schutzsuchend zu uns kommen oder auch einfach in der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft. Ich halte übrigens beides für legitim und muss als Exkurs festhalten, dass Moria und ähnliche existente Lager für ein Scheitern unserer Mitmenschlichkeit stehen und für unsere Provinz festhalten, dass ich das Lager in Langauen für eine Schande halte.
Ich finde es auch immer noch unglaublich, dass ich als österreichischer Staatsbürger das Recht habe, mich fast überall auf der Welt relativ unkompliziert aufzuhalten bzw irgendwohin zu ziehen, mich auf jeden Fall sehr frei zu bewegen, während das den weniger Privilegierten dieser Welt verwehrt wird. Mit welchem Recht?! lautet der Schrei. Und warum verstößt das alles nicht schon längst gegen jegliches Recht und Maßstab, den wir uns im 21. Jahrhundert geben.
Ich erinnere, wie mir als Kind klar wurde, dass nicht alle Kinder die gleichen Chancen haben, dass es beispielhaft immer dieses Afrika gebe, wo die Menschen Hunger leiden. Es war mir damals unverständlich und es ist es bis heute, warum dies bis jetzt nicht leicht zu ändern war, wobei Afrika als Kontinent nur ein Pseudonym für viele Gebiete der Welt steht, die zu unseren Gunsten benachteiligt sind. Dort leben unsere Sklaven.
Man kann heutzutage auf jeden Fall in keinem der in den letzten Minuten erwähnten Tatsachen sagen, dass man nichts davon wisse, … vielleicht heißt man es ja auch gut, wozu ich mein Befremden anmerken darf. Oder man sieht weg, wenn Menschen unmenschlich behandelt werden, nimmt es in Kauf für ein nettes Leben mit Haus und Zaun und Auto und Pool undsoweiter … und den ganzen Annehmlichkeiten, die nice to have aber nicht existenziell sind…auch rund ein Dreiviertel Jahrhundert nach Ende des letzten Krieges bei uns nicht.
Vielleicht mag man mir das jetzt langsam als relativierend auslegen.
Ich glaube fest daran, nein, ich will fest daran glauben, dass eine zukünftige Generation, vielleicht in gar nicht so ferner Zukunft, in die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts zurückblicken und uns vorwerfen wird, wie unmenschlich wir gehandelt haben, uns fragen wird, warum wir nichts dagegen getan haben. Ganz sicher müssen sie mit dem Klimawandel leben, vielleicht aber auch schon ohne die Rechte, die wir leichtfertig und wahrscheinlich anlassbezogen aufgegeben haben.
Vielleicht ist das ein wenig dramatisch, das könnte man dann meiner Profession als Theatermacher zuschreiben, oder es ist Teil einer Erzählung, die man so nicht fortschreiben sollte. Spätestens das Ende der Pandemie wäre ein guter Zeitpunkt all das, woran wir uns schon viel zu sehr gewöhnt haben und was uns mittlerweile als normal erscheint, neu zu betrachten und anders zu denken. Und damit meine ich nicht, die propagierte „Neue Normalität“, die uns – Verzeihen Sie – in die gewohnte Scheiße dieser Welt zurückwirft.
Und jetzt komme ich erstens zum Ende und zweitens irgendwie zum Anfang zurück, es gibt natürlich Dinge, die objektiv betrachtet werden können, müssen, die schier unglaubliche Zahl an Opfern des Nationalsozialismus wäre – hier stehend – so ein Fakt. Und es fühlt sich seltsam an, dass man im Jahr 2021 dies immer noch betonen muss, weil viel zu viele beispielsweise den Holocaust immer noch oder wieder in Frage stellen, sich als „Neue Juden“ verfolgt fühlen, weil sie sich zum Beispiel nicht impfen lassen wollen, und damit die Grausamkeiten, die im letzten Jahrhundert geschehen sind und bis heute wirken, relativieren. Schon lange nicht mehr sind soviele Verschwörungstheorien kursiert und vor allem von zuvielen Teilen der Gesellschaft geglaubt und – wir leben ja schon im 21. Jahrhundert – geteilt worden. Und wie seit Jahrhunderten werden die gleichen Gruppen als Verursacher allen Unheils hingestellt.
Vielleicht weil die Realität so komplex, undurchschaubar und schwer zu verstehen scheint, weil der Alltag schon so schwer zu ertragen ist. Oder weil das Wesentliche – ein aufgeklärter, toleranter und empathischer Umgang mit allen Mitmenschen und eine Demut vor allem, was existiert, immer noch nicht normal ist.