Lisa Rettl – Wilde Minze. Historischer Hintergrund
I. Die Peskollers: Familiärer Hintergrund und soziales Netz
Helga Emperger, geboren in Lienz, wuchs mit ihrer jüngeren Schwester Roswitha in einem sozialdemokratisch geprägten Umfeld auf. Für ihren Vater Josef Peskoller waren sein Beruf als Eisenbahner und die Arbeiterbewegung das prägende Element seines Lebens: Als 23-jähriger trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, seine endgültige politische Heimat fand er Mitte der 1930er Jahre in der KPÖ. Helgas Mutter, Maria Peskoller (geborene Greil), entstammte ursprünglich einer bäuerlich-konservativen Familie aus dem osttirolerischen Dölsach und arbeitete vor ihrer Eheschließung als Köchin in Tirol. Zu Beginn der 1930er Jahre trat sie politisch noch nicht in Erscheinung. Sie unterstützte zwar die politischen Anliegen ihres Mannes, ihr Hauptaugenmerk galt jedoch nach den Geburten ihrer Töchter Helga (1928) und Roswitha (1932) in erster Linie der Familie. 1932 übersiedelten die Peskollers berufsbedingt von Lienz nach Villach. Zwei Jahre später erlebte die Familie durch die faschistische Machtübernahme mit Engelbert Dollfuß an der Spitze die ersten drastischen Einschnitte: Für Josef begann nun aufgrund seiner exponierten Stellung als langjähriger sozialdemokratischer Personalvertreter eine elfjährige Phase von Verfolgung, Repression und Illegalität. Als bekannter „Roter“ wurde er bei den österreichischen Bundesbahnen bereits 1934 in einen zeitlich begrenzten Ruhestand versetzt. Noch im selben Jahr folgte die erste von mehreren Verhaftungen wegen illegaler kommunistischer Betätigung, 1935/36 eine achtmonatige Inhaftierung im Anhaltelager Wöllersdorf. Maria Peskoller hielt die Familie inzwischen mit Haushalts- und Schneiderarbeiten über Wasser. Am 11. Juni 1940 wurde Josef Peskoller in Villach verhaftet und am 21. Februar 1941 nach Klagenfurt überstellt. Ihm wurde seitens des Untersuchungsrichters des Volksgerichtshofs vorgeworfen, gemeinsam mit einigen anderen ein „hochverräterisches Unternehmen“ vorbereitet zu haben, indem er einerseits durch die Organisation eines politischen Zusammenschlusses und andererseits durch „Beeinflussung der Massen durch Verbreitung von Schriften“ mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern versuchte. In der Hauptverhandlung vom 20. Februar 1942 wurde er zu einer 20-monatigen Haftstrafe verurteilt. Im Sommer 1944 fiel Josef schließlich einer großangelegten Verhaftungswelle durch die Gestapo zum Opfer und blieb bis zu Kriegsende in Klagenfurt in Haft. In diesen Jahren entwickelte sich Maria Peskoller zu einer herausragenden Persönlichkeit des Villacher Widerstandes. Sie unterhielt ein vielfältiges politisches Kontaktnetz, das von den PartisanInnen in Leoben-Donawitz rund um Max Muchitsch über die kärntnerslowenischen PartisanInnen, entflohene ZwangsarbeiterInnen bis hin zu den Widerstandszellen innerhalb der Deutschen Reichsbahn reichte. Maria selbst agierte auf lokaler Ebene im Rahmen ihres persönlichen Netzwerkes und Freundeskreises, der einerseits aus führenden KP-Persönlichkeiten Kärntens bestand – etwa den Familien Kazianka und Bucher – anderseits aus Personen, die sich antifaschistisch und antinazistisch positionierten. Mit Rosa Eberhard und Margarete Jessernigg verband Maria Peskoller neben einer politischen auch eine enge persönliche Freundschaft – drei Frauen, die in räumlicher Nähe zueinander lebten und deren Kinder ebenfalls befreundet waren. Die drei Frauen stützen sich wohl auch im Alltag gegenseitig – ihnen war nicht zuletzt gemeinsam, dass ihre Männer aus unterschiedlichen Gründen abwesend waren. Marias Mann befand sich seit dem Jahr 1934 über weite zeitliche Strecken in politischer Haft, Rosa Eberhards Mann Andreas war als Obergefreiter der Luftwaffe an der Front, Margarete Jessernig, deren Mann ebenfalls Eisenbahner gewesen war, lebte seit 1942 als Witwe. Marias ältere Tochter Helga wuchs innerhalb dieses sozialen Gefüges in die antifaschistische Arbeit hinein. Sie gehörte zwar aufgrund ihres jugendlichen Alters nicht zum engeren Kreis der politischen AktivistInnen, übernahm aber immer wieder verschiedene Kurierdienste. 1944 – Helga war fünfzehn – versuchte sie eine Pistole von Villach nach Eisenkappel/Železna Kapla zu transportieren – ein Versuch, der zwar aufgrund des heftigen Bombardements auf Klagenfurt scheiterte – allerdings ein deutliches Indiz für die politische Zusammenarbeit Maria Peskollers mit den slowenischen PartisanInnen darstellt. Helga war, ebenso wie Margarete Jessernigs Tochter Greti (Margarete), an der Übermittlung von politischen Nachrichten und am Transport von Flugblättern beteiligt. Eine andere wesentliche Aufgabe fiel ihr aufgrund ihrer Stenokenntnisse zu: Nächtens stenographierte Helga die illegal gehörten Kriegsnachrichten und Frontberichte der so genannten „Feindsender“ (Nachrichtensender der Alliierten), auf deren Basis wiederum antinazistische Flugblätter entstehen konnten.
II. Sommer 1944: Aufbau der Partisanengruppe
Das Jahr 1944. Zusammenbruch der deutschen Fronten, Bombardements der Alliierten. Hitlerattentat am 20. Juli. Überall im Deutschen Reich verschärfte die Gestapo ihren Terror gegen verdächtige RegimegegnerInnen. Im Sommer 1944 wurde Helgas Vater, Josef Peskoller, erneut festgenommen. Wenig später beteiligte sich Maria Peskoller gemeinsam mit ihren Freundinnen Rosa Eberhard und Margarete Jessernigg sowie dem ebenfalls befreundeten Valentin Clementin aus Seebach am Aufbau einer Partisanengruppe im Raum Villach. Inwiefern die Bildung dieser Gruppe mit den politischen Bemühungen des Frühjahres 1944 zur Bildung einer Österreichischen Freiheitsfront in Kooperation mit der slowenischen Befreiungsfront in Verbindung zu bringen ist, kann nicht eindeutig geklärt werden. Auf höherer politischer Ebene der verschiedenen Widerstandskräfte wurde dieses Projekt im Frühsommer mehr oder weniger als gescheitert betrachtet, nicht desto Trotz erscheint die Villacher Gruppe in ihrer Struktur genau als das: Als ein später Ausläufer dieser Kooperationsbemühungen. Mit der slowenischen Befreiungsfront (OF, Osvobodilna fronta) stand Maria Peskoller jedenfalls bereits seit den Anfängen der Partisanenbewegung in Kärnten in Verbindung: „Für den Raum Villach jedoch war auch eine der ersten tätigen Frauen Genossin ‚Anna’, Maria Peskoller. Schon im Herbst 1942 nahm ich selbst mit den Villacher Genossen wieder Verbindung auf, und ‚Anna’ war es, die für unsere Partisanengruppe Leoben-Donawitz dann die Verbindung zu den Partisanen im Rosental über Villach aufrechterhielt.“
Ein wesentlicher Faktor, dass es überhaupt zur Bildung einer kämpfenden, im Wald lebenden Partisanengruppe im Frühherbst 1944 kommen konnte, waren die schon seit längerem gepflegten Kontakte der Peskollers zu verschiedenen, teils entflohenen ZwangsarbeiterInnen im Raum Villach. Bereits vor 1944 leisteten die Peskollers in diesem Zusammenhang unterstützende Hilfe und unterhielten politische Kontakte. Mit Marias Verbindungsnetz wurden im Frühherbst 1944 über die Peskoller-Wohnung in der Sonnenstraße mehrere Deserteure und Wehrdienstverweigerer in den Wald geschleust, wo Maria bereits den Kontakt zu entflohenen ZwangsarbeiterInnen hergestellt hatte. Diese bildeten für kurze Zeit eine in den Wäldern lebende Partisanengruppe, die durch kleinere Sabotageakte und Anschläge das lokale NS-System destabilisierte. Rosa Eberhard, Margarete Jessernig und Maria Peskoller bildeten mit Valentin Klementin und dem gebürtigen Kroaten Milan Jelič die zentrale Versorgungsbasis im Villacher Raum, die die PartisanInnen im Wald mit Nahrung, Informationen, Waffen und anderen Hilfestellungen unterstützte. Eine andere Versorgungsbasis lag in Kellerberg, wo Maria Jennes die Gruppe aktiv unterstützte. Zum Kern der Partisanengruppe gehörten neben einigen namentlich unbekannten ZwangsarbeiterInnen die Deserteure Erich Ranacher und Josef Ribitsch, die zuvor schon bei den slowenischen PartisanInnen eine Ausbildung erhalten hatten und sich einige Tage in der Peskoller-Wohnung versteckt hielten, ferner der Deserteur Heinrich Brunner und der Wehrdienstverweigerer Franz Najemnik, dessen Flucht in die Wälder ebenso über den Weg der Peskoller-Wohnung in der Sonnenstraße führte. Letzterer entging als einziger dem engmaschigen Fahndungsnetz der NS-Behörden.
III. Die Villacher Partisanengruppe
In der kurzen Bestandszeit der Kerngruppe, die sich in etwa von September bis November 1944 erstreckte, lebte die Partisanengruppe in abgeschiedenen, selbstgebauten Waldbunkern in der Umgebung von Villach. Ihr Aktionsradius erstreckte sich auf einen Teil des Drautales rund um Kellerberg sowie auf das Gegendtal. Aktenkundig belegt sind Aktionen für die Ortschaften Winklern, Wernberg, Treffen, Niederdorf, Kras, Köttwein, Puch, Unterwollanig, Verditz und Arriach.11 In einer Gesamtbeurteilung lässt sich sagen, dass der eigene politische Anspruch der PartisanInnen sich wohl nur begrenzt realisieren ließ – die scharfe Verfolgung durch Landwacht, Gendarmerie und Gestapo einerseits und die Heterogenität und Instabilität der Gruppe andererseits, gepaart mit einem Mangel an Waffen und Unterstützung einer breiteren Bevölkerungsbasis, ließ nur wenig Spielraum für größere, militärische Aktionen. Einträge in den Gendarmeriechroniken des Gegendtales zeigen, dass die Gruppe vor allem mit der Beschaffung von Waffen und Lebensmitteln, und sehr bald schon mit einem puren Überlebenskampf beschäftigt war – zu schlagkräftigen politischmilitärischen Aktionen kam es nicht. Zwischen den PartisanInnen und den nationalsozialistischen Verfolgungsbehörden kam es in der kurzen Bestandszeit der Gruppe zu mehreren Feuergefechten. Im Verlauf eines solchen Gefechts wurde ein Landwachtmann getötet, Erich Ranacher selbst erlitt einen Armdurchschuss. Die Pflege des Verletzten übernahm Maria Peskoller, bzw. wird in den Gerichtsakten auch Rosa Eberhard die Versorgung eines Verwundeten zugeschrieben. Die verhältnismäßig kleinen Aktionen der Partisanen zeigten durchaus große Wirkung. Wie sehr die NS-Behörden die Gruppe und eine Ausbreitung des Widerstandes fürchteten, zeigte sich vor allem in ihren Verfolgungs- und Defensivreaktionen, die sich in den Gendarmeriechroniken dokumentieren. Exemplarisch lässt sich dies etwa an drei Einträgen aus der Gendarmeriechronik Afritz verdeutlichen:
„Ab 30.10. musste das Elektrizitätswerk Arriach-Klamm wegen Bandentätigkeit im Postenbereich Treffen durch Landwachtmänner des hiesigen Postenbereiches bis 24.11. zur Nachtzeit ständig bewacht werden. (…) Mit 4.11. nach 18 Uhr haben 9 bewaffnete Banditen (Treffnerbanden) (…) in Verditz No. 15 Lebensmittel geraubt. Auf das hin wurde der Posten um 3 Gendarmen verstärkt und musste durch Tage hindurch Lauerstellung in den Ortschaften Verditz und Schattenberg unter Heranziehung der Landwacht zur Nachtzeit bezogen werden, bis die Treffnerbande festgenommen wurde.“
Zusammenfassend wurde in der Gendarmeriechronik resümiert, dass der Stand der Landwachtmänner allein im Postenbereich Afritz im Jahr 1944 von 94 auf 150 Personen erhöht wurde und die Einsätze äußerst zahlreich waren, „weil allwöchentlich zweimal fast in jeder Ortschaft Streifen zur Überwachung und Kontrolle ausländischer Arbeiter verrichtet, während der Bandentätigkeit Lauerstellung gelegt und das Elektrizitätswerk Klamm überwacht werden musste.“
Der Erfolg dieser kleinen Partisanengruppe zeigte sich also weniger in ihrer tatsächlichen militärischen Schlagkraft, als vielmehr in psychologischen Hinsicht und der damit verbundenen Destabilisierung des Systems. Die Gruppe, die in ihrem Höchststand in etwa aus 8-10 Personen bestand, hatte innerhalb kürzester Zeit eine tiefe Verunsicherung bei der Bevölkerung und im lokalen Machtgefüge der Nazis herbeigeführt, die in einer drastischen Verstärkung des NS-Sicherheitsapparats mündete – zu einem Zeitpunkt, wo die Deutsche Wehrmacht an allen Fronten Niederlagen erfuhr und die Alliierten mit massiven Bombardements den Glauben an eine nationalsozialistischen „Endsieg“ langsam zermürbten.
IV. Das Ende der Villacher PartisanInnen
Zwischen 11. und 19. November 1944 gelang es der Gestapo in mehreren Etappen, fast die gesamte Gruppe festzunehmen. Betroffen war der Kern der bewaffneten Partisanengruppe im Wald ebenso wie das Netzwerk, das ihnen Unterstützung und Hilfe gewährte. Welche Faktoren zum Auffliegen der Gruppe führten, lässt sich aus den historischen Akten nicht eindeutig rekonstruieren. Zweifelsohne hatte zunächst Erich Ranachers Verletzung am Arm eine Zerstreuung und Auflösung der Gruppe in Gang gesetzt. Die massive Verfolgung durch die NS-Behörden hatten die Überlebenschancen der kleinen Partisanengruppe bereits zuvor drastisch eingeschränkt – mit einem Verletzten war an einen weiteren Kampf wohl kaum mehr zu denken. Erich Ranacher und Josef Ribitsch fanden nach Erichs Verletzung jedenfalls noch kurzfristig Unterschlupf und Pflege in der Peskoller-Wohnung – nach dem Verlassen der Wohnung versuchten sie nach Lienz, in den Heimatort Erich Ranachers, zu gelangen. Vor allem die Verhaftungsdaten legen nahe, dass diese Hilfestellung das auslösende Moment für die Festnahme der Gruppe darstellte. Durchaus möglich ist eine Anzeige durch die im Haus wohnhafte Blockleiterin, wahrscheinlicher ist allerdings, dass Maria Peskoller und andere Gruppenmitglieder bereits unter ständiger Gestapobeobachtung standen.
Als erstes, am 11. November, wurde Maria Peskoller mit ihren Töchtern Helga und Roswitha, sowie Margarete Jessernig mit ihrer Tochter Greti verhaftet. Roswitha, damals zwölf, wurde wieder entlassen und zunächst in die Obhut einer NSV-Schwester übergeben. Durch ein Täuschungsmanöver gelang es ihr, diese abzuschütteln und sich zu Verwandten durchzuschlagen, bei denen sie bis zu Kriegsende verblieb. Helga blieb in Gestapoeinzelhaft und wurde schließlich mit ihrer Mutter in das Landesgerichtsgefängnis Klagenfurt überstellt. Die drei Tage später erfolgte Verhaftung der flüchtigen Deserteure Erich Ranacher, Josef Ribitsch und Heinrich Brunner, die versucht hatten, sich nach Lienz durchzuschlagen, dürfte eher ein Zufallserfolg für die Gestapo gewesen sein. Nach den Erinnerungen von Ernst Ranacher, dem jüngeren Bruder Erichs, hatte sich folgendes abgespielt:
„Da sind sie in Steinfeld zu einem Bauern Brot betteln gegangen und die haben ihnen nix gegeben, sie sind dann weiter gezogen, der Erich mit drei anderen, sie waren zu viert. Und der Bauer hat das angezeigt. Der Erich hat ja eine Waffe im Rucksack gehabt, sie sind dann auf einer öffentlichen Straße verhaftet worden, weil der Bauer sofort die Anzeige gemacht hat.“
Bei der Identität der vierten Person, die Ernst Ranacher anspricht, könnte es sich möglicherweise um Maria Jennes gehandelt haben, die in Weißenstein eine „Aufwartestelle am Gendarmerieposten innehatte und – schenkt man der Anklageschrift Glauben – eine engere Beziehung zu einem der drei Männer unterhielt. In Kellerberg wohnhaft, hatte sie sich – ihre unverdächtige Stelle zu Nutze machend – ebenfalls an der Unterstützung der Partisanen beteiligt. Eine Verbindung zur Gruppe lässt sich über Rosa Eberhard herstellen, die ebenfalls aus Kellerberg stammte. Gegen die These, dass Maria Jennes mit den drei Männern in Steinfeld gemeinsam verhaftet wurde, spricht ihre vergleichsweise milde Bestrafung – sie wurde wegen unterlassener Anzeige zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Am 16. November wurde Josef Ranacher, Erichs Vater, verhaftet, am 18. der Klagenfurter Kraftfahrer Josef Ermenz. Seine Verbindungen zur Gruppe ließen sich nicht genau klären. Am 19. November erfolgte die Verhaftung von Rosa Eberhard und Valentin Klementin. Über das Festnahmedatum des gebürtigen Kroaten Milan Jelič schweigen die Quellen, in der Anklageschrift wird nur Mitte November vermerkt. Von den insgesamt 13 verhafteten Personen überlebten lediglich fünf: Helga Peskoller, die ohne Prozess bis April 1945 in Klagenfurt inhaftiert blieb, Maria Jennes, die zu drei Jahren Gefängnis und Josef Ermenz, der zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Desgleichen Margarete Jessernigs siebzehnjährige Tochter Greti, die zu zwei Jahren Jugendgefängnis verurteilt wurde sowie Josef Ranacher, der zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Letzterer überlebte mit Glück. Als die InsassInnen des Zuchthauses Straubing in Bayern in den letzten Kriegstagen zur Liquidation nach Dachau deportiert werden sollten, gelang Josef Ranacher die Flucht.
V. Die Urteile des Deutschen Volksgerichtshofs
Der Deutsche Volksgerichtshof wurde 1934 eigens zur Aburteilung politischer Delikte, d.h. zur Ausschaltung von politischen GegnerInnen des NS-Regimes eingerichtet. Die Rechtssprechung wurde dabei sukzessive dem Grundsatz „Recht ist, was dem Volke nützt“ untergeordnet. Insbesondere unter der Präsidentschaft von Roland Freisler ab 1942 entwickelte sich der Volksgerichtshof zu einem Terrorinstrument erster Güte. Rechtsmittel gegen Urteile des Volksgerichtshofes waren nicht zulässig, die einzige Möglichkeit, ein vom Volksgerichtshof gefälltes Urteil umzuwandeln, war ein Gnadengesuch bei Hitler, dem allerdings selten entsprochen wurde.
Dem Prozess gegen die Villacher PartisanInnen wurde, nachdem der aus dem „Altreich“ angereiste Volksgerichtshofpräsident persönlich den Vorsitz führte, seitens des NS-Regimes große Bedeutung beigemessen. Dies erstaunt nur wenig, nachdem in Kärnten der Partisanenkampf partout nicht in den Griff zu bekommen war und Anfang 1944 Teile Kärntens von Himmler offiziell zum „Bandenkampfgebiet“ erklärt werden mussten. Die Angst, dass sich dieser Widerstand auf andere Kärntner Gebiete ausdehnen könnte, war dementsprechend groß – die Gelegenheit, die Verhaftung als „großen Schlag gegen das Bandenunwesen“ zu verkaufen, für die Nazis überaus günstig.
Der Prozess gegen die Villacher PartisanInnen fand am 17. und 18. Dezember im Landesgericht Klagenfurt statt, am 21. Dezember wurde die „Vollstreckbarkeit des Urteils“ bestätigt:
„Josef Ribitsch, Heinrich Brunner und Erich Ranacher haben als Bunkergemeinschaft kommunistischer Deserteurbanditen im fünften und sechsten Kriegsjahr die ehrlich arbeitende Bevölkerung zusammen mit ausländischen Arbeitern raubend terrorisiert und auch das Leben eines anständigen Landwachtmannes auf dem Gewissen. Valentin Clementin und Milan Jelic haben ihnen Waffen und Munition geliefert. Frau Maria Peskoller, Frau Margarete Jessernig und Frau Rosa Eberhard gaben ihnen die Basis in der Bevölkerung, ohne die sie ihr Verräterleben nicht hätten führen können. Frau Peskoller und Frau Jessernig ließen sie immer wieder bei sich schlafen, führten ihnen ausländische Arbeiter zu und halfen ihnen auch sonst. Frau Eberhard verband einen Verwundeten der Bande, gab ihm eine Pistole u. gewährte Bandenmitgliedern Unterschlupf in ihrer Wohnung. Sie alle haben sich dadurch volksverräterisch zu Handlangern unserer Kriegsfeinde gemacht. Für immer ehrlos werden sie mit dem Tod bestraft.“
Am 23. Dezember 1944 wurden die Urteile in Graz vollstreckt, die Ermordeten am Grazer Zentralfriedhof verscharrt. Die genaue Grabstelle der Hingerichteten konnte nie eruiert werden.
Am 25. Jänner 1985 wurde in einer Entschließung des Deutschen Bundestags der Volksgerichtshof einstimmig als „Terrorinstrument zur Durchsetzung nationalsozialistischer Willkürherrschaft“ bewertet. Den Urteilen wurde dabei jede Rechtswirkung für die Bundesrepublik Deutschland abgesprochen. Rechtsverbindlich wurden die Urteile des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte in Deutschland 1998 per Gesetz aufgehoben. In Österreich ließ die offizielle Rehabilitierung von Deserteuren und Opfern der NS-Unrechtsjustiz weitere 29 Jahre auf sich warten. Erst im heurigen Jahr – am 7. Oktober 2009 – stimmte der Justizausschuss einem von SPÖ, ÖVP und Grünen gemeinsam eingebrachten Gesetzesantrag zur Rehabilitierung von Deserteuren und Opfern der NS-Unrechtsjustiz zu. Demnach gelten nun alle Entscheidungen des Volksgerichtshofs bzw. der Stand- und Sondergerichte, sowie die Urteile der so genannten Erbgesundheitsgerichte, die zwischen dem 12. März 1938 und dem Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 ergangenen waren, rückwirkend als nicht erfolgt:
„§4 (1) Alle Opfer gerichtlicher Unrechtsentscheidungen im Sinne des § 1, sowie jene, die – ohne deswegen verurteilt worden zu sein – Akte des Widerstandes oder andere gegen das NS-Unrechtsregime gerichtete Akte gesetzt und dadurch etwa als Widerstandskämpfer oder insbesondere als Deserteure durch die bewusste Nichtteilnahme am Krieg an der Seite des nationalsozialistischen Unrechtsregimes oder als so genannte ‚’Kriegsverräter’ zu dessen Schwächung und Beendigung sowie zur Befreiung Österreichs beigetragen haben, sind rehabilitiert.
(2) Ihnen und den Opfern anderer typischer nationalsozialistischer Unrechtshandlungen sowie allen Opfern der politischen Verfolgung und deren Familien spricht die Republik Österreich ihre Achtung aus.“
Damit dauerte es in Österreich 64 Jahre, bis sich die Zweite Republik durchringen konnte, den Opfern der NS-Unrechtsjustiz – der Urteilsdiktion zufolge „für immer ehrlos“– in einer langjährigen politischen Auseinandersetzung die ihnen gebührende Achtung und offizielle Rehabilitierung zuzuerkennen.