Leo Fischbach – Erinnerungen an den Antisemitismus seiner Schulzeit in Villach
Ich bin am 12. August 1912 in St. Ruprecht bei Klagenfurt geboren und meine Eltern sind mit uns Kindern nach kurzer Zeit nach Villach übersiedelt. Die erste Erinnerung meiner Kindheit ist, als mein Vater im ersten Weltkrieg einrücken musste. Es war sehr schwierig für meine Mutter, meinen jüngeren Bruder Josef und mich allein aufzuziehen.
Bald nachdem Ende des Krieges kam ich in die Volkschule. Die Misere meines Lebens begann zu diesem Zeitpunkt. Täglich wurde ich von meinen Mitschülern mit folgenden Worten begrüßt: »Jüdchen, Jüdchen, hed, hed, hed, Schweinefleisch macht Jüdchen fett«. Nach einiger Zeit ist es ihnen gelungen, mich von meinem direkten Weg zur Schule zu vertreiben. Ich mußte den Hauptplatz meiden und Seitengassen benützen, um diesen Stänkereien zu entgehen. Der Antisemitismus war ihnen schon in ihrer frühesten Jugend beigebracht.
Als ich dann ins Gymnasium (das heutige Peraugymnasium) kam, waren Willie Spierer und ich die einzigen jüdischen Schüler in der Schule. Willi machte seine Matura ein Jahr später und ich blieb als einziger Jude. Meine Lage wurde unerträglich. Um meine nächsten 4 Jahre zu beschreiben, müsste ich ein Buch schreiben. Täglich um 10 Uhr morgens hatten wir eine Pause. Alle Schüler begaben sich in den Schulhof. Ich konnte nicht daran teilnehmen. Dasselbe galt für Ausflüge.
Es würde viel zu lange dauern, alle Beleidigungen und Verspottungen anzuführen. Was habe ich ihnen getan, so eine Behandlung zu verdienen?
Ich erinnere mich an einen besonderen Fall. Wir hatten als Deutschlehrer Prof. Freiherr von Schnehen Er verlangte von jedem Schüler über irgendein Thema zu sprechen. Als ich an der Reihe war, wählte ich als Thema den damals laufenden Film Ben Hur. Als Professor Schnehen am Ende der Unterrichtsstunde den Klassenraum verlassen wollte, stand der Schüler Fritz Wunderer aus Lienz auf und versperrte dem Professor den Weg. Mit seinen Armen an seinen Hüften erklärte er: »Herr Professor! Wir werden es nicht zulassen, dass über den Film Ben Hur gesprochen wird, da dieser Film eine Judenverherrlichung ist«. Ohne Wunderer zu antworten, versuchte der Professor zu verschwinden. Ich war so wütend und warf Wunderer gegen die Schultafel. Der Professor packte mich beim Genick und sagte: »Fischbach, nur keine Hitzköpfigkeit!« Dies war derselbe Professor der zu Professor Singer sagte: »Der Unterschied zwischen uns ist, dass mein Vater ein Adeliger ist und Ihr Vater ein Pinkeljude!« Prof. Singer verübte später Selbstmord. Als ich mein Untergymnasium beendete, sagte der Geschichte Professor: »Na, da sind wir aber froh, Sie los zu werden!«
Nicht alle Professoren waren gehässig. Schuldirektor Dr. Grossmann und Professor Kmeth waren sehr nett zu mir. Im Großen und Ganzen, kann ich nicht sagen, dass meine Schulzeit in Villach eine angenehme war. Tatsache ist, dass die verbleibenden Wunden noch vorhanden sind, und ich daher außergewöhnlich scheu und gar nicht ausgegangen bin.
Nach meinem Untergymnasium ging ich allein nach Wien in die Textilschule, um mich in Strickerei und Wirkerei ausbilden zu lassen. Nach Vollendung eröffnete ich eine ganz kleine Strickerei. Der Erfolg war nicht groß, da ich kein Geld hatte, um mein Erzeugnis selbst zu verkaufen; so musste ich Lohnarbeit annehmen, die sehr schlecht bezahlt wurde.
Dann kam Hitler. Von einer Tante, die schon viele Jahre in den U.S.A. lebte, erhielt ich ein
Affidavit und ich schiffte mich am 15. September in Antwerpen ein und erreichte New York am 27. September 1938.
Eine Woche nach meiner Ankunft fand ich Arbeit als Handmaschinenstricker. Bald darauf kaufte ich – mit geborgtem Geld – Visa für meine Eltern nach Kuba. Sie schifften sich im Februar 1939 ein. Der Name des Schiffes war die »St. Louis«. Die Kubaner ließen das Schiff nicht landen und die armen 1.000 Menschen mussten zurück nach Europa. Die vier Länder, England, Frankreich, Holland und Belgien haben sich bereit erklärt je 250 Leute aufzunehmen. Sehr viele haben Selbstmord verübt. Viele Jahre später wurde sogar ein Film über das »The Ship of the Damned« gedreht. Nebenbei: das Geld für die Visa habe ich nie wieder gesehen.
Meine Eltern wurden nach Südfrankreich gebracht. Die Franzosen internierten meinen Vater sofort im Lager Gurs. Nach seiner Freilassung war meine Mutter bereits im nazibesetzten Gebiet. Mein Vater ging zu meiner Mutter zurück. Kurz nachher verschied er im Alter von 51 Jahren. Meine Mutter wurde im Jahre 1941 nach Auschwitz verschleppt und ist in den Gaskammern umgekommen. Menschen, die in ihrem ganzen Leben niemanden ein Leid zufügten.
Nach einem Jahr in den U.S.A. heiratete ich eine reizende Wienerin. Für 54 Jahre hatten wir eine wunderbare Ehe. Meine geliebte Edith verschied ganz plötzlich, ohne irgendwelche Krankheit zu haben am 30. Sept. 1994. Bald nach unserer Hochzeit eröffnete ich meine eigene Strickwarenerzeugung, obwohl ich klein begann, war mein Betrieb gleich ziemlich erfolgreich, und ich kann mit Stolz sagen, dass ich es bis auf 75 Mitarbeiter gebracht hatte.
Quelle: Brief von Leo Fischbach an Professor Manfred Hubmann (Peraugymnasium).