Hans Haider – Perspektivenwechsel in der Kärntner Erinnerungskultur. Das Ende des Schweigens

Bis zu Beginn der 1990er Jahre gab es in Kärnten keinen ernsthaften öffentlichen Diskurs über die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, in die viele unserer Mütter und Väter schuldhaft verstrickt waren. Das Schweigen der Kriegsgeneration war lange Zeit auch unser Schweigen. 

Das Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus war über Jahrzehnte hinweg von verschiedensten Tabus begleitet, die auch heute noch nicht ganz überwunden sind. Für die Nachkommen war und ist es offensichtlich schwierig, die aktive Teilhabe der Väter und Mütter am NS-Terror zu akzeptieren, diese (Mit-)Schuld und Verantwortung anzuerkennen, darüber zu sprechen und öffentlich einzugestehen. Mit der zeitlichen Distanz zum historischen Geschehen, dem damit einhergehenden Generationenwechsel und den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen hat sich jedoch mittlerweile ein Perspektivenwechsel ergeben, so dass ein kritisches und auch selbstreflexives Hinschauen heute leichter möglich ist. Dies ist zu begrüßen, denn das von der Nachkriegsgesellschaft gepflegte Schweigen, Zudecken und Vergessen bietet keine Hilfe, um mit der Geschichte, die eben auch unsere eigene ist, ins Reine zu kommen. Erst in den letzten zwanzig Jahren entstanden in Kärnten außerhalb der traditionellen Opferverbände Erinnerungsinitiativen, die begannen, auf Basis zivilgesellschaftlichen Engagements die Opfer des Nationalsozialismus ins Zentrum zu stellen. Seit der Jahrtausendwende zeichnete sich – trotz gegenläufiger gesamtpolitischer Trends – ein überaus erfreulicher Paradigmenwechsel in der Kärntner Erinnerungskultur ab. Praktisch im ganzen Land entstanden zivilgesellschaftlich getragene Initiativen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise auf Spurensuche begaben und die nationalsozialistische Vergangenheit ihrer Region zu erforschen begannen. Um das zu untermauern, sei ein kleiner Überblick über diese bemerkenswerten Entwicklungen erlaubt – nicht zuletzt deswegen, weil sich diese trotz des vielfach starken politischen Gegenwinds und dank beharrlicher, langjähriger und meist ehrenamtlicher Arbeit behauptet haben und heute aus dem kulturellen Leben Kärntens nicht mehr wegzudenken sind.

Gedenkinitiativen in Kärnten – ein kurzer Überblick

Loiblpass Nord

So konstituierte sich im Jahr 1995 unter der Ägide des Klagenfurter Universitätsprofessors Peter Gstettner die Gedenkinitiative Loiblpass Nord zur Erinnerung an das im Herbst 1943 errichtete Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Fünfzig Jahre nach Kriegsende kam es erstmals zu einer von Österreichern besuchten Gedenkfeier in Erinnerung an dieses Kärntner Konzentrationslager. Seither finden jedes Jahr Gedenkfeiern in Erinnerung an die KZ-Häftlinge statt, welche bei den Bauarbeiten des Loibltunnels zum Einsatz gekommen waren und um ihr Leben gebracht wurden – sei es hier, oder in Mauthausen, wohin sie bei Krankheit oder Schwäche nach Selektionen durch den Klagenfurter Lagerarzt Sigbert Ramsauer zur Ermordung rücktransportiert wurden. (Gstettner 2012; Rettl/Pirker 2010; Tischler/Tessier 2007)

Erinnern Villach

1995 nahm auch die Gedenkinitiative Erinnern-Villach ihre Arbeit auf. Vier Jahre später wurde in der Widmanngasse das Denkmal der Namen errichtet, das an die Villacher Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert. Seither finden auch hier alljährlich Gedenkveranstaltungen statt. Außerdem organisiert derselbe Verein seit 1996 in Zusammenarbeit mit Schulen und Kirchen alljährlich eine Gedenkfeier in Erinnerung an das Novemberpogrom 1938. 1998 veröffentlichte der Verein Alpen-Adria-Alternativ gemeinsam mit dem Verein Erinnern-Villach in Zusammenarbeit mit der Historikerin und Autorin Andrea Lauritsch die Broschüre Wo ist dein Bruder? – Novemberpogrom 1938 (Lauritsch 1998). Drei Jahre später erschien das Buch Nationalsozialismus in Villach (Haider 2005), herausgegeben vom Verein Erinnern-Villach. Beide Publikationen entfachten in Villach einen öffentlichen Diskurs.

Die Initiativen von Stadtverwaltungen

Auch im Auftrag der Stadt Villach und der Stadt Wolfsberg gab es bemerkenswerte Ausstellungen und Publikationen, die sich nachhaltig auf die gesamte Kärntner Erinnerungskultur auswirkten. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die im Jahre 2000 von der Stadt Wolfsberg erschienene Broschüre Die Juden von Wolfsberg – Nationalsozialistische Judenverfolgung am Beispiel Wolfsbergs (Lauritsch 2000), verfasst von der Historikerin Andrea Lauritsch. Ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähne ich die vom Verein Industrie und Alltagsgeschichte erarbeitete Ausstellung in Villach Heiß umfehdet, wild umstritten – Geschichtsmythen in Rot-Weiß-Rot (Koroschitz/Rettl 2005) im Jahr 2005, in der unsere nationalsozialistische Vergangenheit ebenso zum Thema gemacht wurde wie unsere Schwierigkeit, damit in der Zweiten Republik umzugehen. Ein Jahr später folgte die Ausstellung Der Onkel aus Amerika (Koroschitz 2006), eine Sonderausstellung, die sich mit den Themen Flucht und Migration im Kontext des Nationalsozialismus auseinandersetzte. In beiden Projekten wurde der in Kärnten tief verwurzelte Antisemitismus in Verbindung mit Schicksalen von Kärntner Jüdinnen und Juden thematisiert.

Museum Peršmanhof

Seit 1982 erinnert am Peršmanhof bei Eisenkappel/Železna Kapla der Verband der Kärntner Partisanen mit einem zweisprachigen Museum an die kärntner-slowenische Geschichte von Verfolgung und Widerstand ebenso wie an eines der letzten NS-Kriegsverbrechen auf Kärntner Boden, das am 25. April 1945 an Kärntner slowenischsprachigen Zivilpersonen begangen wurde. (Götz 2012) Damals wurden elf Angehörige der Bauernfamilien Sadovnik und Kogoj – vom Kleinkind bis zur Greisin – von Männern eines NS Polizeiregiments erschossen und der Hof anschließend in Brand gesteckt. Mit Gründung des interkulturellen Vereins Društvo/Verein Peršman im Jahr 2001 erhielten die Gedenkstätte Peršmanhof sowie der Partisanenverband Unterstützung seitens jüngerer Generationen, die mittlerweile ein umfangreiches pädagogisches Vermittlungsprogramm betreuen. (Rettl 2006) Mit dem Ausbau und der Neugestaltung des Museums im Jahr 2012 stiegen nicht nur die Besucherzahlen rasant an. Auch das Land Kärnten beginnt in zunehmendem Ausmaß den Peršmanhof als zeitgeschichtlich relevante Bildungseinrichtung wahrzunehmen.

Öffentliche Erinnerungszeichen

Insbesondere in den letzten fünf Jahren entstanden in ganz Kärnten verschiedenste Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum. So wurde 2007 in der Khevenhüller-Kaserne im Klagenfurter Stadtteil Lendorf eine Gedenktafel enthüllt, die daran erinnert, dass sich dort von 1943 bis 1945 ein weiteres Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen befand. 

Die Gedenkinitiative Rosegg/Rožek wiederum schuf im Jahr 2010 in Rosegg ein Namensdenkmal zur Erinnerung an die lokalen NSOpfer, deren Schicksale in einer wissenschaftlich erarbeiteten Begleitpublikation dokumentiert sind. (Koroschitz/Stromberger 2010) 

Auf Initiative des Kulturvereins Kuland rund um den Zeithistoriker Peter Pirker entstand im oberen Drautal das vom Künstler Hans Peter Profunser gestaltete Erinnerungsmal in Greifenburg – auch hier 

flankiert von einer begleitenden Publikation, die sich mit den NS-Opfern der Region auseinandersetzt. (Pirker/Profunser 2012) 

Memorial Kärnten/Koroška

1965 wurde auf Initiative der Opferverbände ein antifaschistisches Mahnmal, gewidmet den Opfern für ein freies Österreich, am Klagenfurter Friedhof Annabichl errichtet und feierlich eröffnet. Seitdem findet dort alljährlich am Nationalfeiertag ein Gedenken statt. Im Jahre 2000 hat der dafür zuständige Verein die Betreuung dieser Gedenkstätte an die jüngere Generation weitergegeben, die sich anschließend unter den Namen Memorial Kärnten Koroška neu konstituierte. Ein Jahr später wurde das Mahnmal in Annabichl durch einen Namensteil, gewidmet den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, erweitert. 2013 sorgte Memorial Kärnten Koroška mit der Errichtung einer Stele vor dem Klagenfurter Landesgericht, in welche die Namen jener Frauen und Männer eingraviert sind, die während der NS-Zeit in diesem Gerichtsgebäude zum Tode verurteilt wurden, für ein Erinnerungszeichen. Den Bemühungen dieser Gedenkinitiative ist es auch zu verdanken, dass im Februar 2014 der Kärntner Landtag den Beschluss fasste, in der Burg in der Klagenfurter Innenstadt, wo sich während der NS-Zeit das Gestapo-Hauptquartier befand, eine Gedenkstätte zu errichten. Ebenfalls im Umfeld dieses Vereins entstand die Publikation Tatort-Schauplätze – Erinnerungsarbeit an den Stätten nationalsozialistischer Gewalt in Klagenfurt, die in weiterer Folge zu einem antifaschistischen Gedenkwanderweg in Klagenfurt führte. Seit zwei Jahren verlegt die Österreichisch-Israelische Gesellschaft Landesgruppe Kärnten in Zusammenarbeit mit Memorial Kärnten Koroška auch so genannte Stolpersteine vor jenen Häusern in Klagenfurt, in denen vertriebene und ermordete Jüdinnen und Juden lebten. 

Weitere Gedenkinitiativen

Seit 2011 ist auch im Gailtal eine Gedenkinitiative tätig, die sich mit der NS-Vergangenheit des Tales auseinandersetzt – eine erste Publikation als Ergebnis der Auseinandersetzung wurde kürzlich vorgelegt. (Gitschtaler/Jamritsch 2013)

Im September 2012 wurde in St. Veit im Jauntal/Šentvid v Podjuni eine Gedenktafel für zwei Widerstandskämpferinnen enthüllt – auf Initiative der Villacher HTL-Lehrerin Adele Polluk, die in diesem Dorf ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. 

In Villach wiederum organisierte im Juni 2011 der Klagenfurter Kulturverein Unikum in Kooperation mit dem Villacher Alpenverein, dem Verein Industriekultur und Alltaggeschichte sowie dem Verein Erinnern Villach die Aktion „Hausbergverbot“ am Dobratsch. Im Zuge dieser Veranstaltung brachte die Villacher Sektion des Alpenvereins am Gipfelhaus eine Gedenktafel an, die daran erinnert, dass der Alpenverein selbst im Jahre 1922 eine Tafel mit der Aufschrift „Für Juden Eintritt verboten“ angebracht hat. 

Im Dezember 2013 fand in der Türkkaserne in Spittal an der Drau die feierliche Enthüllung einer Gedenktafel statt, die an das Kriegsgefangenenlager für sowjetische Soldaten auf diesem Gelände erinnert. Tausende Gefangene der ehemaligen Sowjetunion kamen in diesem Lager ums Leben. Die Inschrift der Gedenktafel lautet: „Das Österreichische Bundesheer gedenkt jener Soldaten der Alliierten, die als Opfer des Nationalsozialismus in der Zeit von 1939 bis 1945 auf dem Areal der Kaserne gelitten und ihr Leben verloren haben.“

„Lieux de mémoire“

All diese Geschichten und Schicksale, die im Rahmen der oben erwähnten Initiativen recherchiert, dokumentiert und erzählt werden, haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind im jeweiligen lokalen historischen Raum, am Ort des Geschehens selbst, verankert und weisen starke Bezüge zur Gegenwart auf. Es ist immer der Bezug der räumlichen und personalen Nähe, die hergestellt werden muss, damit Erinnerungen lebendig bleiben und kritische Selbstreflexion ermöglichen kann. Es sind Menschen von heute, die sich auf Spurensuche begeben und auf traumatisch besetzte Orte stoßen. Orte, wo Leben gewaltsam ausgelöscht wurde: auf dem Peršmanhof, am Loiblpass, im Gaukrankenhaus Klagenfurt, in der Khevenhüller-Kaserne, in den Kriegsgefangenenlagern oder an den Hinrichtungsstätten, über die in den meisten Fällen sprichwörtlich Gras gewachsen ist; Orte wie Gestapogefängnisse und Polizeiwachstuben, Gerichte und alle möglichen Behörden; Orte der demütigenden Diskriminierung, wie das Gipfelhaus am Dobratsch oder auch das Villacher Peraugymnasium, wo sich der jüdische Mathematiklehrer Ernst Singer 1934 im Konferenzzimmer das Leben nahm, weil er die antisemischen Attacken der Kollegenschaft nicht mehr ertragen konnte; das Parkhotel in Villach, wo Juden und Jüdinnen der Zutritt oder die Bedienung verweigert wurde. Diese realen Gedenkorte und die mit ihnen verbundenen Ereignisse sind gleichzeitig die eindrucksvollsten „lieux de mémoire“, wie sie der französische Historiker Pierre Nora (1990) bezeichnet. Diese „Orte“ besitzen eine emotional besonders aufgeladene, symbolische Bedeutung, die eine identitätsstiftende Funktion hat für all jene Menschen, die sich dafür einsetzen, dass wir aus unserer Geschichte der Gewalt die richtigen Lehren ziehen. Die Ereignisse dieser verschiedenartigen Örtlichkeiten dem Vergessen zu entreißen und in das aktive Gedächtnis zu überführen, ist von zentraler demokratiepolitischer Bedeutung: Nicht nur, um für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln unsere Lehren zu ziehen, sondern auch, um über den Umweg der Erinnerung zu uns selbst zu finden. 

Oberkrain/Gorenjska – der blinde Fleck in der Kärntner Erinnerungskultur 

Wenn Kärnten mit seiner Geschichte ins Reine kommen will, muss es auch die vielfältigen Verbrechen, die während der NS-Zeit unter Führung der Kärntner Gauleiter Franz Kutschera und Friedrich Rainer in der Oberkrain verübt wurden, zum Thema machen. Das ist bisher nicht in der Nachhaltigkeit geschehen, wie es notwendig wäre. Die Oberkrain war vom April 1941 bis Mai 1945 de facto ein Teil von Kärnten. Das bedeutet: Wenn wir über die NS-Zeit in Kärnten reden, dann dürfen wir über die Oberkrain nicht schweigen. 

Nach dem Überfall auf Jugoslawien durch die Achsenmächte im April 1941 wurde das gesamte Siedlungsgebiet der SlowenInnen unter den Siegern Deutschland, Italien und Ungarn aufgeteilt. Die Oberkrain wurde an Kärnten angegliedert und fortan Südkärnten genannt. Zum Chef der Zivilverwaltung wurde SS-Brigadeführer Franz Kutschera ernannt, der im November 1941 vom Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer abgelöst wurde. Vom Führer mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, lautete ihr Auftrag dieses Land wieder deutsch zu machen. Nun wurde von Kärnten aus ein brutales und äußerst rücksichtsloses Germanisierungsprogramm in Gang gesetzt. Die dazu notwendigen Maßnahmen waren gut durchdacht und wurden konsequent umgesetzt. Die erste Säuberungswelle galt slowenischen Führungskräften. Lehrer, Priester und Intellektuelle wurden verhaftet und schon im Juli 1941 wurden 2300 Personen aus der Oberkrain nach Serbien deportiert. Weitere Massentransporte fanden im Frühjahr 1942 statt. Der ursprüngliche Plan der Besatzer, rund die Hälfte der Oberkrainer Bevölkerung auszusiedeln, musste jedoch aufgrund des wachsenden bewaffneten Widerstandes aufgegeben werden. 

In den Kirchen durfte nur noch Deutsch gesprochen werden. Rasch wurde die Germanisierung im Schulwesen vorangetrieben. Für die Schulen wurden hunderte Lehrer aus dem Altgau Kärnten herangezogen. Schon im Herbst 1941, sechs Monate nach dem Überfall, erfolgte der Unterricht ausschließlich in deutscher Sprache. Sämtliche slowenische Vereine wurden aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt. Slowenische Bibliotheken und Archive wurden geplündert oder überhaupt zerstört. Auch alle äußeren Zeichen slowenischer Kultur verschwanden: Slowenische Orts- und Straßennamen mussten deutschen Bezeichnungen weichen und slowenische Vornamen mussten durch deutsche Taufnamen ersetzt werden. 

Um dem sofort einsetzenden Widerstand die materielle Basis zu entziehen, wurden ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, und wer immer sich der Unterstützung der Partisanen verdächtig machte, musste damit rechnen, hingerichtet zu werden. In den Monaten Juli und August 1942 wurden von der deutschen Besatzungsmacht elf Ortschaften in der Oberkrain wegen Verdachtes der Partisanenunterstützung niedergebrannt, die männliche Bevölkerung erschossen, die Frauen und die Kinder deportiert. Das geschah in: Gradisče, Koreno, Hrastnik, Kokra, Sovodenj, Zlato polje, Brezovica, Obrse, Mala Lasna, Podgora und Trnovče. Außerdem wurden mehrere Ortssprengel ohne Bekanntmachung niedergebrannt und die männliche Bevölkerung erschossen. (Siehe http://www.karawankengrenze.at, Dokument 238, Fußnote 6) 

Im Schloss Katzenstein in Begunje, benannt nach dem Geschlecht der Kacijaner, befand sich das Gestapo-Hauptquartier. Außerdem fungierte das Schloss von 1941 bis 1945 als Gestapo-Gefängnis. Der von einer hohen Mauer umgebene Garten, der als Anhaltelager diente, wurde nach dem Krieg zur Gedächtnisstätte umgestaltet. Hier wurden insgesamt 12.134 Personen festgehalten – neben aktiven Widerstandskämpfern hauptsächlich deren Angehörige bzw. Sympathisanten. Um dem Naziterror den Anschein von Legalität zu geben, installierte Gauleiter Kutschera ein Sondergericht, das sich unter dem Vorsitz von Kurt Messinger mit der Aburteilung so genannter kommunistischer Elemente befasste. Die erste Sitzung fand im August 1941 statt und endete mit vier Todesurteilen, die bereits am darauf folgenden Tag vollstreckt wurden. Ihren besonderen Sinn für Proportionen stellten die Nazis bei den Geiselerschießungen unter Beweis. Für jeden Deutschen, der bei Partisanenüberfällen umkam, mussten zehn Geiseln ihr Leben lassen, während für jeden slowenischen getöteten Kollaborateur fünf Geiseln exekutiert wurden. Meist fiel die Wahl auf die Bewohner der betreffenden Bandengebiete. Ihre Hinrichtung fand entweder vor Ort, auf dem Richtplatz in Begunje, oder im Dragatal nahe bei Begunje statt. Im Dragatal erinnert heute eine Gedenkstätte an die massenhafte Ermordung einheimischer Geiseln durch die Nazis. Aus der peniblen Buchführung der Nationalsozialisten geht hervor, dass in der Oberkrain während der Okkupation mindestens 1.270 Geiseln erschossen wurden. Weitere 5.100 Häftlinge landeten in deutschen Konzentrationslagern. Die wenigsten kehrten nach dem Krieg zurück. 

In einem Nebentrakt des Schlosses wurde 1961 das muzej talcev/Geiselmuseum eingerichtet, das die Geschehnisse während der deutschen Besatzung dokumentiert. Beklemmender als jede Statistik sind die zehn ehemaligen Gefängniszellen im Geiselmuseum. Hier waren die gefährlichsten Volksfeinde untergebracht, buchstäblich in Ketten gelegt, den sicheren Tod vor Augen. Ständige Appelle, stundenlange Verhöre und Folterungen gehörten zur täglichen Praxis und sollten die unterernährten und geschwächten Häftlinge moralisch brechen. An den Zellenwänden finden sich eine Reihe von Inschriften und Zeichnungen der Häftlinge. Die Graffiti wurden nach dem Krieg freigelegt und restauriert. Als Zentrum nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in der Oberkrain geriet Begunje bald ins Visier der Befreiungsfront. Bereits im August 1941 planten die Partisanen eine groß angelegte Operation zur Befreiung der Lagerinsassen. Die Aktion scheiterte am Verrat eines Kollaborateurs. Die daraufhin verstärkte Bewachung verhinderte jeden weiteren Angriff auf das Lager. Erst im April 1945 endete das Martyrium der Gefangenen. 300 Partisanen umstellten das Lager, und die Deutsche Garnison, die den Befehl zur Ermordung aller Insassen erhalten hatte, ergab sich nach zweitägiger Verhandlung. 32 Häftlinge konnten gerettet werden. (Šinkovec, Stane: Begunje, Nemška okupacija 1941–1945, Prokrajinski odbor OF za Gorenjsko, Kranj 1995)

Gemeinsame Region – gemeinsame Erinnerung?

Obwohl uns mit Slowenien und insbesondere mit der Oberkrain eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte verbindet und die Oberkrain vier Jahre lang an Kärnten angegliedert war, gab es über diese Geschehnisse nach 1945 keinen öffentlichen Diskurs in Kärnten. Seit Jahrzehnten ist das Thema der Kärntner Beteiligung an den Verbrechen in der Oberkrain mit einem Schweigetabu belegt. Es gab und gibt darüber keinen öffentlichen Diskurs. Auch im Geschichtsunterricht in den österreichischen Schulen gehört dieses Kapitel nicht zum Unterrichts-Stoff. Es wird konsequent verschwiegen. Zwar existiert auf universitärer Ebene diesbezüglich eine fruchtbare Zusammenarbeit (zwischen der Universität Klagenfurt und der Universität Ljubljana), jedoch wird das von der Kärntner Öffentlichkeit und den Medien weder wahrgenommen noch kommentiert. Vereinzelt gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich dieses Themas annehmen. So hat der Verein Erinnern-Villach gemeinsam mit der Villacher Kulturinitiative kärnöl 2006 über 300 Dokumente betreffend die Germanisierungspolitik in der Untersteiermark und in der Oberkrain unter der Webadresse http://www.karawankengrenze.at online gestellt. Es handelt sich um Dokumente, die der Historiker Tone Ferenc von der Universität Ljubljana schon 1980 in einem Buch veröffentlichte (Ferenc 1980). Die Reaktionen darauf waren eher spärlich. Neben dem Historischen Institut der Universität Salzburg haben noch drei Studenten aus Deutschland mit dem Hinweis, dass sie sich nun die Fernausleihe für Seminar- und Proseminararbeiten ersparen, darauf reagiert. Ein Jahr später gestaltete der Verein Erinnern-Villach mit einem Teil dieser Dokumente eine künstlerische Installation und platzierte diese mitten auf den Villacher Hauptplatz. Das Interesse der Passanten war erfreulich, wobei es sowohl ablehnende als auch zustimmende Reaktionen gab. Eigentlich ein Ansporn, von diesem Thema nicht mehr abzulassen. Diese Kontinuität konnte aber nicht aufrechterhalten werden. 

Eine grenzüberschreitende Beschäftigung mit unserer gemeinsamen Vergangenheit hätte positive Folgen für unser zukünftiges Zusammenleben. Für einen gelingenden Integrationsprozess in einem zusammenwachsenden Europa wäre diese mentale Gemeinschaftsstiftung sehr wünschenswert. Denn nach wie vor kommt dem Zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen massenmörderischen Charakter des Nationalsozialismus eine herausragende Bedeutung zu, wenn es darum geht, die eigene Identität und unseren Wertekonsens zu bestimmen.