Hans Haider – Das Denkmal der Namen in Villach. Versuch einer Interpretation
Denkmäler als öffentliche Erinnerungszeichen lassen zwei Deutungen zu. Einerseits geben sie Auskunft über die Vergangenheit einer Stadt, andererseits erzählen sie uns auch, welche Einstellung die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt zu dieser Vergangenheit haben, auf welchen historischen Bezugspunkten ihre Identität beruht und welches Bild von der Vergangenheit sie an die nachkommenden Generationen weitergeben wollen.
Während für die Gefallenen, die Vermissten und die Bombenopfer zahlreiche Denkmäler und Gedenktafeln in Villach vorhanden sind und alljährlich Gedenkfeiern von den Kameradschaftsbünden abgehalten werden, gab es für die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt lange Zeit keine ausreichende Form des Gedenkens. Seit einigen Jahren erforscht der Verein »Erinnern« die Geschichte der Opfer und dokumentiert sie. Für die Mehrzahl dieser Opfer gibt es kein Grab und keinen Gedenkstein. Es war daher an der Zeit, dass Villach und seine Bevölkerung ein Zeichen für die Möglichkeit des öffentlichen Gedenkens setzten.
Ein »Denkmal der Namen« ist dazu die geeignete Form. Der Beginn der Entmenschlichung der Häftlinge bestand in der Eingravierung von Nummern in den Unterarm. Nummern statt Namen war der erste Schritt zur Auslöschung ihrer Identität. Der Nationalsozialismus hat die Opfer in Nummern und Objekte verwandelt, bevor er sie vernichtete. Wenn wir heute auf diesem Denkmal Namen statt anonymer Gedenkformeln verwenden, dann ist dies ein Schritt zur Wiederherstellung von menschlicher Würde und Identität.
Das Denkmal wurde als lebendiges Denkmal konzipiert, das heißt es besteht die Möglichkeit weitere Namen beizufügen, wenn die Forschung neue Namen zutage fördert. Im Jahre 1999 wurde das Denkmal mit 64 Namen enthüllt. Bis jetzt gab es viermal eine Erweiterung, so dass zurzeit 336 Namen auf dem Denkmal aufscheinen.
Schon mehrmals ist das »Denkmal der Namen« von Neonazis verwüstet worden. Wir haben es jedes Mal wieder Instand gesetzt und mit einer öffentlichen Veranstaltung seine Wiederherstellung gefeiert. Mit jeder Neuerrichtung wuchs die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Auf diesem Denkmal stehen die Namen und Lebensdaten von Menschen, die in unserer Stadt und in den umliegenden Gemeinden gelebt haben und die aus den verschiedensten Gründen von den Nazis verfolgt und ermordet wurden: Jüdinnen, Juden und Sinti aus rassistischen Gründen, Zeugen Jehovas wegen ihrer religiösen Überzeugung, behinderte Menschen, weil sie den „gesunden Volkskörper“ schädigten, Sloweninnen und Slowenen, weil die Nazis das Land „deutsch“ machen wollten, Menschen die das Regime kritisierten,
Zwangsarbeiter, die es wagten die Arbeit zu verweigern, aber auch mutige Frauen und Männer, die aus politischer Überzeugung bewusst Widerstand leisteten und sei es „nur“, dass sie einem russischen Kriegsgefangenen ein Stück Brot gaben wie Josefine Kofler aus Villach Lind oder, dass sie den polnischen Zwangsarbeitern die Teilnahme an der Messe ermöglichten, wie der Pfarrer Anton Koperek aus der Gemeinde Paternion. So erzählt uns dieses „Denkmal der Namen“ viele Geschichten, wenn wir davor verweilen und die Inschriften lesen.
Das Denkmal wurde unter spezieller Berücksichtigung der räumlichen Situation entworfen. Als idealen Ort hat uns die Stadt die Mauer in der Widmanngasse gegenüber dem Stadtmuseum zur Verfügung gestellt. Da es sich um einen zentralen Punkt in der Innenstadt handelt, bekommt das Denkmal die nötige Aufmerksamkeit. Es besteht aus einer Metallsäule aus Edelstahl, geteilt durch die Schriftzüge „ERINNERN“ und „AN DIE OPFER DER NATIONALSOZIALISTISCHEN GEWALT“. Seitlich davon sind auf durchsichtigen Glastafeln die eingravierten Namen der Opfer in einer gitterförmigen Stahlkonstruktion angeordnet. Die dahinter liegende Mauer bleibt sichtbar, sodass Mauer und Gitter symbolhaft an die beiden Metaphern „hinter Gittern“ und „an die Wand stellen“ erinnern. Die ursprünglich symmetrische, an die christliche Kreuzform angelehnte Gestaltung, wurde von uns bewusst verworfen und dekonstruiert, indem die Metallsäule seitlich versetzt wurde. Die nunmehr asymmetrische Form des Mahnmals, mit den alphabetisch angeordneten Namen, hebt die Bedeutung der Inschriften hervor und verleiht dadurch dem Denkmal, wie von uns beabsichtigt, einen stärkeren Memorial-Charakter. In seiner Nüchternheit und Klarheit hebt sich dieses Denkmal deutlich von der heute nicht mehr als zeitgemäß empfundenen pathetischen Denkmalkultur früherer Jahrzehnte ab.
Das »Denkmal der Namen« ist im hohen Maße ein Denkmal der Schrift. Auf den Glastafeln sind nicht nur der Name, sondern auch das Geburtsjahr, das Todesjahr und der Todesort eingraviert. Beim Betrachten der Todesorte wird eine Topographie des nationalsozialistischen Terrors sichtbar. Wir lesen KZ Dachau, KZ Ravensbrück, KZ Auschwitz, Gestapohaft Villach, aber auch Ghetto von Lodz, Tötungsanstalt Hartheim, NS Hinrichtungsstätte Landesgericht Graz oder Vernichtungslager Treblinka. Beim Lesen und Vergleichen des Geburtsjahres mit dem Todesjahr, erkennt man, dass viele Kinder ja sogar Säuglinge von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Dieses Denkmal und alle Namen, die auf ihm eingraviert sind, geben der Stadt Villach ein Stück Würde und Menschlichkeit zurück – zwei Eigenschaften, die diese Stadt in den Jahren von 1938 bis 1945 so gnadenlos vermissen ließ.
Hans Haider, Mai 2010