Brigitte Entner – Vortrag anlässlich der Filmvorführung „Jelka“ 2017
Kärntner Sloweninnen und ihr Widerstand gegen das NS-Regime
Nahezu drei Jahre kämpften Partisanen und Partisaninnen in Kärnten mit aller Kraft gegen das NS-Regime. Hinsichtlich Organisationsgrad und Breite war ihr Widerstand einzigartig auf dem Gebiet des heutigen Österreich.1 Erste bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Partisanen und Kräften des NS-Reichs sind in Kärnten bereits im Sommer 1942 nachweisbar. Mit ihren Widerstandshandlungen banden die Kärntner Slowenen und Sloweninnen nicht unbeträchtliche militärische Kräfte Hitlerdeutschlands. (Realistische) Schätzungen gehen von 7-10.000 Soldaten aus, die dadurch an wichtigen Kriegsschauplätzen fehlten.2 Der Wiener Militärhistoriker Josef Rausch wies in seiner Untersuchung des Partisanenkampfes (1979) über 700 bewaffnete Aktionen und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften des Deutschen Reichs nach.3 Der widerständige Beitrag der Kärntner Slowenen und Sloweninnen entsprach konkret dem, was die Alliierten im Oktober 1942 in der Moskauer Deklaration verlangt hatten, um eine Wiederrichtung Österreichs nach dem Krieg zu unterstützen:
“Österreich wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege aufseiten Hitlerdeutschlands die Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann, und dass bei der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird.” 1
Unmittelbar nach Kriegsende wurde daher in Kärnten – wie auch in Wien – auf den Kampf der Kärntner Slowenen und Sloweninnen hingewiesen. Recht bald aber wurde dieser wieder aktiv „vergessen“. So gelang es der „Volkszeitung“, dem Organ der ÖVP in Kärnten, im Mai 1946, also nur ein Jahr nach dem Kriegsende, den Widerstand in Kärnten zu feiern, ohne den Partisanenkampf zu erwähnen.4 Unter der „Selbstbefreiung“ Kärntens verstanden viele Kärntner Zeitgenossen jenen Vorgang, wonach am 7. Mai 1945, nach Absprachen mit der NS-Führung die Macht von Gauleiter Rainer an eine neu gebildete (und von der NS-Führung gebilligte) provisorische Landesregierung erfolgt war. Von einer Verhaftung Rainers hatten die neuen Machthaber abgesehen. Was die Vertreter der neuen/alten politischen Eliten in Kärnten und die NS-Führung gegen Kriegsende geeint hatte, war die Furcht vor einer jugoslawischen oder gar sowjetischen Besatzung, die sie mit allen Mitteln zu verhindern suchten.
Wie sehr dieses „aktive Vergessen“ Platz gegriffen hat, zeigt ein Blick in österreichische Schulbücher. Hier wird der bewaffnete Widerstand, wenn überhaupt, dann an Hand der steirischen Partisanen beschrieben, jener der Kärntner-slowenischen Bevölkerung wird nicht genannt. Das mag wohl auch daran liegen, dass sich Österreich nicht wirklich als national heterogenes Staatsgebilde versteht.
Überraschen mag aber, dass sich selbst im Standardwerk zum Widerstand im Deutschen Reich, herausgegeben von Wolfgang Benz, kein Hinweis zum Kärntner Partisanenkampf findet.5 Doch auch in der Wissenschaft gab und gibt es Verunsicherungen hinsichtlich der Beschäftigung mit diesem besonderen Widerstand, wie bereits einer der Pioniere der österreichischen Widerstandsforschung, Karl Stadler, 1966 festgehalten hatte. Er nannte nationale Fragen (Grenzfrage) und weltanschauliche Konflikte (kommunistische Führung der Partisaneneinheiten) als Ursachen für diese Distanz, sowie das Sprachenproblem, welches die Forschung erschwerte. Nach Stadler sollten weder die nationale Frage noch jene nach der weltanschaulichen Ausrichtung ein Hindernis für die Beschäftigung und Bewertung des Kärntner-slowenischen Widerstands darstellen.6 Die Frage der Loyalität lastete bis in die jüngste Gegenwart schwer auf den Schultern der Slowenen.7 Der Vorwurf, sie hätten nicht für ein freies Österreich gekämpft, erweist sich bei näherer Betrachtung als obsolet: Mit dem sogenannten Anschluss 1938 wurde Österreich zunächst zur Ostmark bevor es völlig in seine Donau- und Alpengaue aufgelöst wurde. Nach dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941 verschwand auch die (Karawanken-)Grenze im Süden. Eine dezidiert österreichische Perspektive gab es für den Widerstand nicht.8 Andererseits hatte auch der organisierte sozialdemokratische Widerstand nicht für ein freies Österreich sondern explizit für ein antifaschistisches Großdeutschland agiert, ohne dass hier später die Loyalitätsfrage gestellt wurde.
Umso erfreulicher ist es, dass sich in den letzten Jahren wiederholt junge Filmemacher und Filmemacherinnen wie Malina Mertlitsch mit diesem Thema auseinander setzen. Erinnert sei bei dieser Gelegenheit auch an den Film von Tobias Kavelar „Partisan“ aus dem Jahr 2005. Es war seine Abschlussarbeit an der Robert Schuman Hochschule in Düsseldorf.
Dass es gerade sie sein würden, die sich so energisch und erfolgreich dem Nazi-Faschismus zur Wehr setzen würden, haben sich 1938 selbst die Kärntner Slowenen und Sloweninnen nicht vorstellen können. Rebellion ist ihnen, wie es Valentin Sima treffend formuliert hat, nicht in die Wiege gelegt worden.9 Die überwiegende Mehrheit der nationalbewussten Kärntner-slowenischen Bevölkerung war politisch christlich-konservativ orientiert. Gehorsamkeit gegenüber dem Staat war, trotz aller erfahrenen Benachteiligungen und Assimilierungsbestrebungen, eine Grundmaxime, die auch die ersten Jahre des NS-Regimes anhielt. Diese Grundhaltung änderte sich jedoch spätestens nach der im April 1942 erfolgten zwangsweisen “Aussiedlung” von 227 Slowenisch sprechenden Familien. Als “Volks- und Staatsfeinde” wurden sie ihres Besitzes beraubt und in spezielle Lager im heutigen Deutschland deportiert, wo sie großteils bis zum Kriegsende festgehalten wurden. Die zwangsweise “Aussiedlung” von rund 1.000 Männern und Frauen, Säuglingen, Kindern und Greisen, wurde von 3 nationalbewussten Slowenen als traumatische Zäsur verstanden und das Dogma der bedingungslosen Loyalität gegenüber dem Staat – nun endlich – in Frage gestellt. Selbst unter ihrer katholisch orientierten, sich selbst als unpolitisch betrachtenden Mehrheit wuchs die Bereitschaft zu aktivem widerständigen Verhalten.
Wenn wir uns mit dem Widerstand der Kärntner-slowenischen Bevölkerung beschäftigen, müssen wir uns vor Augen halten, dass die Formen des gelebten Widerstandes sehr vielfältig waren und sich nicht nur auf den Kampf mit der Waffe in der Hand beschränkten. Die Widerstandshandlungen wurden z.T. individuell oder organisiert, bewaffnet oder unbewaffnet, nicht immer jedoch bewusst gesetzt. Dazu zählte letztlich auch der Gebrauch des Slowenischen in der Öffentlichkeit. Er war verboten. Widerständig gegen die NS-Normen verhielten sich auch jene, die mit Kriegsgefangenen bzw. Zwangs- oder Fremdarbeitern und -arbeiterinnen einen menschlichen Umgang pflegten. Schon 1938 finden wir Zeichen von aktiv gesetzter politischer Resistenz: Anlässlich der Abstimmung zum Anschluss an das Deutsche Reich am 10. April hatten in den Gerichtsbezirken Bleiburg/Pliberk und Eisenkappel/Železna Kapla überraschend viele mit Nein gestimmt. Einige bezahlten für diesen Widerstand mit ihrem Leben, wie die Gebrüder Schwarz, Arbeiter in Rechberg/Reberca. Unmittelbar nach ihrer Weigerung wurden die beiden verhaftet und von der Gestapo in das KZ Dachau eingewiesen. Andrej Schwarz verstarb bereits am 30. Dezember 1938 im KZ AL Prittelbach, sein Bruder Pankraciji am 24. Feber 1940 im KZ Mauthausen.10
Einige Männer und Frauen schlossen sich der vom küstenländischen Slowenien ausgehenden bürgerlichen Widerstandsbewegung TIGR (Trst, Istra, Gorica, Reka) an, die 1940 Sabotageaktionen in Kärnten und der Steiermark durchführte. Die Gruppe wurde ausgehoben und 33 Personen wegen Hochferrats, Wehrmittelbeschädigung und Sprengstoffbesitzes vor Gericht gestellt. Drei der sechs zum Tode Verurteilten waren Kärntner Slowenen: Conrad Lipusch, Franz Knes und Martin Čemernjak. Der junge Franz Melcher verstarb in Haft und Anton Tuder, ehemaliger Bürgermeister von Maria Gail/Marija na Zilji, verlor, nachdem er vor Gericht freigesprochen wurde, im KZ Gusen sein Leben (27.8.1942).11
Mit Kriegsbeginn 1939 häuften sich bewusst gesetzte Widerstandshandlungen ganz anderer Art: Männer, die zur Wehrmacht einberufen wurden, entzogen sich durch Desertion dieser “Bürgerpflicht” und flohen nach Slowenien. Mit dem Überfall von Deutschland, Italien und Ungarn auf Jugoslawien im April 1941 wurde dieser Fluchtweg unterbunden. Einige der Deserteure schlossen sich der nach dem Überfall in Ljubljana gegründeten politischen und militärischen Widerstandsbewegung Osvobodilna Fronta (OF) an.12 Andere wiederum kehrten in ihre Heimatdörfer zurück und versteckten sich im Wald. Sie wurden später als “Grüne Kader” bezeichnet. Sie waren nicht organisiert. Die meisten wechselten im Laufe der Zeit zur organisierten Partisanenbewegung über. In ihren Bunkern waren die „Grünen Kader“ auf die Unterstützung ihrer Angehörigen und Freunde angewiesen, die sie mit Lebensmitteln 4 und Informationen versorgten. Durch ihre Hilfeleistung machten sich auch die Angehörigen strafbar.
Unmittelbar nach der zwangsweise “Aussiedlung” vom April 1942, war vielen schmerzlich bewusst geworden, dass sie allein auf Grund der Tatsache, dass sie Slowenen waren, verfolgt werden konnten.13 Und genau in dieser Zeit der Unsicherheit machten sich erste Einheiten der OF erfolgreich auf Kärntner Boden bemerkbar und zeigten Alternativen zum Gefühl des Ausgeliefertseins. Die in Kärnten agierenden Einheiten vermittelten der Slowenisch sprechenden Bevölkerung die Perspektive, dass man aktiv und vor allem erfolgreich gegen das NS-Gewaltregime vorgehen könne.
Mit Hilfe von Einheimischen, die vor 1941 nach Slowenien geflohen waren, war es der OF gelungen, Kontakte herzustellen und ein Organisationsnetz vor Ort aufzubauen. Im Raum Eisenkappel – Zell – Ferlach/Železna Kapla – Sele – Brovlje war dies vor allem Ivan Županc – Johan, im Rosental/Rož wiederum Matija Verdnik – Tomaž. Innerhalb kürzester Zeit gelang es, weit über 200 Personen anzuwerben, darunter sehr viele Frauen. Auch am Aufbau von Ortsausschüssen waren die Frauen von Anfang an intensiv beteiligt.14 Diese Ausschüsse hatten vor allem die Aufgabe, unter der Bevölkerung die Unterstützung der Partisanenbewegung zu organisieren. Die Aufgaben der Unterstützer und vor allem Unterstützerinnen vor Ort waren vielfältig: Nachrichten sammeln und weitergeben, die Bewegungen der deutschen Einheiten auskundschaften und verbotene Sendungen im Radio hören, Propaganda für den Widerstand betreiben, Mitstreiter und Mitstreiterinnen gewinnen, Soldaten auf Heimaturlaub zur Desertion bewegen, Lebensmittel, Kleidung, Verbandsmaterial und Medikamente, Papier und sonstiges Material organisieren und weiterleiten.15 Kurz: es galt die Versorgung sicher zu stellen. Diese illegale Arbeit in der Legalität wurde meist von Frauen geleistet. Sie waren es, die mit Fortdauer des Krieges allein mit ihren Kindern auf den Höfen waren. Ihre Männer waren eingezogen, gefallen oder bereits bei den Partisanen – oder sie befanden sich in Haft, waren in ein KZ deportiert oder ums Leben gebracht worden. Im Frühjahr 1943 erfolgte die Gründung des ersten Ausschusses der Antifaschistischen Frauenfront (Antifašistična fronta žena, AFŽ) in Kärnten.16
Der Weg vom Leben in der Legalität hin zur illegalen Arbeit war in vielen Fällen ein fließender, nicht immer wurde der Übergang bewusst vollzogen. Die Kärntner-slowenische Bevölkerung lebte in einer streng religiös geprägten Welt. Die christliche Caritas war in ihr fest verankert. Die Frage nach den politischen Zielen der Osvobodilna fronta war in vielen Fällen nachrangig. Es waren Ehemänner, Brüder, Söhne, Angehörige, Nachbarn oder Freunde, die Hilfe brauchten. Spätestens nach der Deportation und der entschädigungslosen Enteignung der “Ausgesiedelten” 1942 wollten und konnten viele Männer, nicht mehr ihr Leben für das Deutsche Reich riskieren. Sie desertierten beim nächsten Heimaturlaub oder weigerten sich, ihrer Einberufung Folge zu leisten.17 Um die Angehörigen zu Hause zu schützen, wurden in vielen Fällen Zwangsrekrutierungen vorgetäuscht oder andere Listen erdacht.
Lipej Kolenik beschreibt in seinen Erinnerungen, dass seine Mutter nach seiner Desertion über längere Zeit hinweg regelmäßig Pakete mit Lebensmitteln an seine Feldpostadresse geschickt hatte, um die Behörden zu täuschen und sich selbst erfolgreich vor Repressionen zu schützen.18
Während sich Männer und männliche Jugendliche in ihrem Bestreben den Widerstand zu unterstützen, sich bald der Partisanenbewegung anschlossen und “in den Wald” gingen, blieben Frauen, im Interesse der Befreiungsbewegung, so lange wie möglich vor Ort und betrieben ihre illegale Arbeit unter dem Deckmantel der Legalität. Eine schwierige Arbeit: Sie waren in ihrer Arbeit isoliert und mussten stets Angst vor Enttarnung haben. Tagsüber kamen die Gendarmen und in der Nacht die Partisaninnen und Partisanen, die um Lebensmittel baten und es gab selbst für die eigene Familie meist zu wenig. Der Druck war enorm und vielfach selbst für Frauen, die sich bewusst dem Widerstand verschrieben hatten, wie auch Helena Kuchar – Jelka, kaum zu ertragen. Dazu kam die Verantwortung für die eigenen Kinder und meist noch für Kinder von Angehörigen sowie für den Hof.
Helena Kuchar beschreibt diesen Zwiespalt in ihren Erinnerungen sehr eindringlich.19 Jelka, so ihr Partisaninnenname, war eine tatkräftige Frau. Ungerechtigkeiten stellte sie sich selbstbewusst. Sie stammte aus einer slowenischen Familie, war aber mit einem Mann aus einer assimilierten Familie verheiratet. Gemeinsam mit ihren Schwestern Malka Blajs und Katarina Miklav, ihrem Bruder Miha Haderlap und dem Schwager ihrer Schwester Malka, Jožef Blajs, gehörte sie von Anfang an dem Ortsausschuss der OF von Leppen/Lepena an. Politisiert wurde zu Hause gerne. Auch bei der Gründung des Ortsausschusses der AFŽ in Leppen/Lepena war Jelka führend dabei. Im September 1943 erhielt ihr Bruder Miha die Einberufung zur Wehrmacht. Die Familie beschloss, dass er stattdessen zu den Partisanen gehen sollte. Über innerfamiliäre Kontakte wurde seine “Zwangsrekrutierung” organisiert. Kurz darauf wurde sein 10-jähriger Sohn Zdravko von Gendarmen festgenommen, verhört und brutal misshandelt. Sie wollten wissen, wo sich sein Vater aufhielt. Erst am nächsten Tag durfte der schwer traumatisierte Zdravko nach Hause. Es folgte die Verhaftung der 21-jährigen Nichte Mici Pečnik, die bei Miha am Hof lebte und als Kurierin in direktem Kontakt mit der Partisanenbewegung stand. Die Internierung im KZ Lublin überlebte sie nicht. Fünf Tage nach der Misshandlung von Zdravko wurde seine Mutter Marija verhaftet und das Haus verwüstet. Neben Marija Haderlap wurden an diesem Tag in der näheren Umgebung noch 12 Männer und Frauen wegen Verdacht der Partisanenunterstützung festgenommen und anschließend in verschiedene KZ überstellt, darunter zwei Neffen von Jelka. Ernst und Franc Blajs kamen mit ihren 15 bzw. 17 Jahren in das als “Jugendschutzlager” bezeichnete KZ Moringen. Deren Mutter Malka und Onkel Jožef konnten der drohenden Verhaftung durch Flucht zu den Partisanen entkommen. Jožef Blajs fiel 1944, Malka wurde im Juni 1944 gefasst und in das KZ Ravensbrück deportiert. Franc Blajs, der Vater von Ernst und Franc, war bereits 1941 als Wehrmachtssoldat gefallen. Ebenfalls am 12. Oktober 1943 wurde eine weitere Tante der Burschen verhaftet. Sie überlebte Ravensbrück und Auschwitz. Die KZ Internierung nicht überlebt haben Jelkas Schwester Katarina und ihr Mann Miklavž Miklav. Diese konzentrierte Häufung von Verfolgungsmaßnahmen innerhalb einer einzigen Familie ist nicht wirklich ungewöhnlich. Uns zeigt sie jedoch die enge Verquickung von Privatem und Politischem während des Widerstandskampfes, aber auch, dass die NS-Behörden in ihrer Brutalität selbst vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt machten.
Jelka machte trotz der massiven Verfolgung ihrer Familie weiter. Und obwohl sie selbst vier Kinder, darunter einen wenige Monate alten Säugling, hatte, nahm sie die beiden Buben ihres Bruders, die mit 13 und 10 Jahren völlig auf sich gestellt waren, auf und bewirtschaftete gemeinsam mit den Kindern den brüderlichen Hof. Sie stand in regelmäßigem Kontakt mit ihrem Bruder Miha, der als Kurier in ihrer Nähe stationiert war. Trotz der Belastung, die sie schon im “legalen” Alltag zu meistern hatte, engagierte sie sich intensiv für den Widerstand. Sie baute eine “lebende Post” auf. Frauen aus der nahegelegenen Stadt Eisenkappel/Železna Kapla “organisierten” wichtige Informationen über das Vorgehen der Deutschen hinsichtlich der Partisanenbekämpfung bzw. “Banditenbekämpfung” wie es die Nazis benannten. Wie bei einem Stafettenlauf gaben die Frauen die Informationen zur nächsten weiter, bis sie bei der abgeschieden am Berg lebenden Jelka eintrafen, die wiederum die Partisanen und Partisaninnen informierte. Wichtige Informationen bekamen sie auch von NS-Parteigenossinnen.20 Vor allem aber ging Jelka, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt, immer wieder zu den Bauern, um zu “politisieren” und zu “organisieren”.21 Wie stark sie tatsächlich in den inneren Kreis der politischen Akteure der Kärntner OF eingebunden, wie wichtig ihre Rolle als Verbindungsglied zwischen der Illegalität und dem legalen Leben war, aber auch die Tatsache, dass sie am Aufbau der AFŽ beteiligt war, erfahren wir nicht so sehr aus ihren eigenen, sondern vielmehr aus den Erinnerungen ihres Neffen Tonči Haderlap.22
Im Herbst 1944 musste Jelka “in den Wald”. Eine von ihr organisierte Versammlung war verraten worden. Rechtzeitig von der “lebenden Post” informiert gelang ihr die Flucht. Gemeinsam mit ihren beiden Neffen und einem guten Dutzend Frauen wechselte sie zu den Partisanen, wo sie eine profunde politische Schulung erfuhr, auf die sie, die nur auf eine mangelhafte Schulbildung verweisen konnte, sehr stolz war. Die Frauen, die mit ihr gegangen waren, zeigen, wie breit das Spektrum der Möglichkeiten für Frauen bei den Partisanen war. Einige folgten Jelka in die politische Arbeit, andere wurden den kämpfenden Truppen zugewiesen. Wieder andere waren bei “der Technik”, jener Abteilung, die Nachrichten sammelte, Berichte, Broschüren und Flugblätter für die politische Arbeit verfasste und auf primitive Weise vervielfältigte. Und es gab Frauen, die so genannte typische “Frauenaufgaben” übernahmen. Sie kochten in den Kurierbunkern oder pflegten die Verwundeten in den Krankenstationen. Frauen waren vielseitig einsetzbar und in den Organisationen der OF überwog ihr Anteil, ihre Karrierechancen blieben allerdings gering. Wir finden in den Führungsstrukturen des Kärntner Widerstandes kaum Frauen.23
Eine “Gleichberechtigung” der anderen Art erfuhren sie ab 1942/43 durch die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes. Als das erste Organisationsnetz der OF 7 verraten wurde, wurden rund 200 Personen verhaftet, ca. die Hälfte waren Frauen.24 Ab diesem Zeitpunkt werden Frauen in den Verfolgungsakten als maßgebliche Größe des Widerstands sichtbar. Zwischen Oktober 1942 und Kriegsende liegt der Anteil der Frauen unter den Häftlingen, die wegen Partisanenunterstützung länger als nur für einige Tage in Haft genommen wurden, bei 47 %. Im Jahr 1944 waren es sogar mehr Frauen als Männer. Generell kann von ca. einem Drittel Frauen unter den verfolgten Widerständigen ausgegangen werden. Ein extrem hoher Anteil: Christl Wickert hat aus den Akten der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf einen Frauenanteil bei den politisch motivierten Widerständigen von max. 10 % errechnet.25 Ein Projekt des Instituts für Konfliktforschung in Wien versuchte sämtliche Österreicher und Österreicherinnen, die in das KZ Ravensbrück eingewiesen wurden, zu erfassen. Ein Vergleich mit Arbeiten am Slowenischen wissenschaftlichen Institut/Slovenski znanstveni inštitut in Klagenfurt/Celovec zeigt das Verhältnis der Widerstandsbereitschaft zwischen Kärntnerinnen deutscher Muttersprache und jener mit slowenischer Mutter- bzw. Kommunikationssprache. Insgesamt wurden 173 Frauen aus Kärnten in das KZ Ravensbrück eingewiesen, 80 % aus politischen Gründen. Davon waren wiederum 80 % (= 110) Kärntner Sloweninnen. Dies zeigt die außergewöhnliche Widerstandsbereitschaft unter den Kärntner Sloweninnen. (Insgesamt waren mindestens 232 Männer u Frauen in KZ ums Leben gekommen, davon 55 Frauen).
1 Wolfgang Neugebauer, Vorwort, in: Spurensuche. Erzählte Geschichte der Kärntner Slowenen. Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Klub Prežihov Voranc, Institut za proučevanje prostora Alpe-Jadran. Wien 1990, 7-9; 7.
2 Zum militärischen Verlauf des PartisanInnenkampfs siehe u.a. die immer noch lesenswerte Studie von Josef Rausch, Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg (Militärhistorische Schriftenreihe 39/40) Wien 1979; Marjan Linasi, Koroški partizani. Protonacistični odpor na dvojezičnem Koroškem v okviru slovenske Osvobodilne fronte, Celovec – Ljubljana – Dunaj 2010.
3 Josef Rausch, Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg, Wien 1979
1 Zitiert nach: Norbert Schausberger, Österreich. Der Weg der Republik 1918-1980. Graz-Wien 1980, 43.
4 Volkszeitung, 8.5.1946, 2 f.
5 Wolfgang Benz und Walter H. Pehle (Hg.), Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt am Main 2008.
6 Karl Stadler, Österreich 1938 – 1945 im Spiegel der NS-Akten. Wien – München 1966, 327.
7 Siehe die Ausstellung aus dem Jahre 2003: Die Partisanen in Kärnten. Kämpfer gegen den Faschismus. Kämpfer für …? Eine Ausstellung des Kärntner Landesarchivs. Katalog. Bearbeitet von Wilhelm Wadl und Alfred Ogris. Klagenfurt 2003
8 Siehe dazu das Gutachten von Karl Stuhlpfarrer im Auftrag des ORF. Anlässlich der Ausstrahlung der Sendung Die Kärntner Partisanen in der Reihe Brennpunkt am 19. April 2002 reichte der damalige Landeshauptmann Jörg Haider am 23. April 2002 eine Beschwerde beim Bundeskommunikationssenat ein. In dem Gutachten beschäftigte sich Karl Stuhlpfarrer ausführlich mit dieser Frage. <http://www.uni-klu.ac.at/his/downloads/gutachten_.pdf> (02.02.2017).
9. Valentin Sima, Gewalt und Widerstand 1941-1945, in: Andreas Moritsch (Hg.), Kärntner Slovenen – Koroški Slovenci 1900-2000. Bilanz des 20. Jahrhunderts. Klagenfurt/Celovec –
10 Brigitte Entner, Wer war Klara aus Šentlipš/St. Philippen? Kärntner Slowenen und Sloweninnen als Opfer der NS-Verfolgung. Ein Gedenkbuch. Klagenfurt – Wien/Celovec – Dunaj 2013, 54-56.
11 Entner, Klara, 76-81; laut Aussagen von Mithäftlingen wurde Tuder mittels Benzininjektion ermordet. In der Sterbeurkunde stand jedoch „Herzmuskelschwäche und Dickdarmkatarrh“.
12 Dabei handelte es sich um eine Sammlung von antifaschistischen Parteien und Gruppierungen Sloweniens. Sie erklärte den bewaffneten Widerstand gegen die faschistischen Okkupanten sowie die Vereinigung aller SlowenInnen in einem Staat zu ihrem Ziel.
13. Anton Haderlap beschreibt in seinen Erinnerungen, wie seine Eltern bereits in Erwartung des baldigen Abtransports, Abschied von den Nachbarn nahmen. Anton Haderlap, Graparji. So haben wir gelebt. Erinnerungen eines Kärntner Slowenen an Frieden und Krieg. Klagenfurt/Celovec 2008, 83-86. Zur listenmäßigen Erfassung “nationalbewusster” SlowenInnen siehe: Valentin Sima, Die Vertreibung von Kärntner Slowenen 1942, in: Narodu in državi sovražni. Pregon koroških Slovencev 1942 / Volks- und staatsfeindlich. Die Vertreibung von Kärntner Slowenen 1942. Red. v. Augustin Malle u. Valentin Sima. Klagenfurt/Celovec 1992, 133-209, 165-179; Brigitte Entner u. Heidi Wilscher, „Sämtlich Slovenen!“ Kärntner SlowenInnen zwischen Entrechtung und Diskriminierung. In: Verena Pawlowsky u. Harald Wendelin (Hg.), Ausgeschlossen und entrechtet. Wien 2006 (=Raum und Rückgabe – Österreich von 1938 bis heute, Bd. 4), 54-76.
14. Andrej Leben, V borbi smo bile enakopravne. Uporniške ženske na Koroškem v letih 1939-1955. Klagenfurt/Celovec 2003, 14-16.
15. Jelka. Aus dem Leben einer Kärntner Partisanin. Hg. v. Thomas Busch und Brigitte Windhab nach Tonbandaufzeichnungen von Helena Kuchar. Basel 1984; Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945. Hg. v. Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori. Wien 1985, 122-165; Ingrid Strobl, “Sag nie, du gehst den letzten Weg.” Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Frankfurt am Main 1989, 74-104.
16 Brigitte Entner, „Komm, miss dich mit uns, in die Wälder dich trau!“ Kärntner Sloweninnen im Widerstand, in: Fabjan Hafner, Johann Strutz (Hg.), Krieg, Widerstand, Befreiung. Ihr Nachhall in den Kulturen und Literaturen des Alpen-Adria-Raums. Klagenfurt – Wien/Celovec – Dunaj 2013, 29-46.
17. Entner u. Wilscher, Sämtlich Slovenen, 58.
18. Lipej Kolenik, Für das Leben, gegen den Tod. Mein Weg in den Widerstand. Klagenfurt/Celovec 2001,129.
19. Siehe Jelka.
20. Leben, V borbi, 31.
21. Siehe Jelka sowie Helene Kuchar-Jelka, Ein Feuer geht von Luče aus, in: Der Himmel ist blau, 142-160.
22. Haderlap, Graparji, 104-106, 109, 116; siehe zu den „Auslassungen“ in der Erzählung von Helena Kuchar – Jelka und auch ihrem Neffen Tonč Haderlap: Brigitte Entner, Eine Familie, zwei Sprachen, drei Erzähltypen. Erinnerungen von Kärntner Sloweninnen und Slowenen an die NS-Verfolgung, in: Storylines and Blackboxes. Autobiografie und Zeugenschaft in der Nachgeschichte von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg. Hg. v. Johanna Gehmacher und Klara Löffler. Wien 2017, 149-174
23. Leben, V borbi, 220.
24. Entner u. Wilscher, V borbi, 59.
25 Christl Wickert, Widerstand und Dissens von Frauen – ein Überblick, in: dies. (Hg.) Frauen gegen die Diktatur. Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland. Berlin 1995, 18-31.